Olympiasiegerin Claudia Pechstein in Polizeiuniform
analyse

Gericht regt Vergleich an Fall Pechstein: Die Pokerpartie hat begonnen

Stand: 24.10.2024 21:23 Uhr

Bei der mit Spannung erwarteten Neuaufnahme des Falles von Eisschnellläuferin Claudia Pechstein gegen den Eislauf-Weltverband ISU drängt das Gericht auf einen Vergleich, den beide Parteien nun ausloten - es geht um eine Ehrenerklärung und eine Millionenzahlung.

Von Hajo Seppelt und Jörg Mebus

Der Vorsitzende Richter Andreas Müller schaute am Ende des Verfahrens noch einmal zu den Tischen beider Streitparteien und sagte mit einem gequälten Lächeln: "Ich weiß gar nicht, ob ich auf Wiedersehen sagen soll."

Ein Wiedersehen bei dem mit Spannung erwarteten Schadenersatz-Prozess am Oberlandesgericht München zwischen dem Eislauf-Weltverband ISU und Claudia Pechstein würde es nur dann geben, wenn beide Parteien bis dahin nicht das Ziel erreichen, zu dem sie Müller am Donnerstag vehement, aber zunächst vergeblich drängte: ein Vergleich, der den epischen Streit zwischen Pechstein und der ISU nach mehr als 15 Jahren ein für alle Mal beendet.

Ball liegt beim Weltverband

Nach drei Stunden voller Sticheleien vor allem von der Pechstein-Seite sah es zwar nicht danach aus, als seien beide Parteien fähig, einen Kompromiss zu finden. Doch auch die Alternative, eine Fortsetzung des Verfahrens - das Gericht setzte als möglichen nächsten Termin den 13. Februar 2025 an - liegt nicht im Interesse von Pechstein und der ISU.

Immerhin akzeptierten beide Seiten, dass ihnen der Vorsitzende Richter eine klare Hausaufgabe mit auf den Weg gab: Die ISU muss bis zum 14. November eine "Ehrenerklärung" zugunsten Pechsteins vorformulieren. Erst wenn die Klägerin, die bisher explizit auf einer Entschuldigung des Weltverbandes bestand, die Formulierung akzeptiert, soll die Verhandlung über die Höhe des Schadenersatzes beginnen - und damit eine millionenschwere Pokerpartie.

"Noch weitere 15 Jahre"

Die Pechstein-Seite fordert exakt 8.372.908,51 Euro, womöglich zuzüglich Zinsen, weil sie 2009 von der ISU nach ihrer Meinung zu Unrecht wegen Blutdopings gesperrt worden war. Die Verteidigung von Pechstein gab aber im Sitzungssaal 28 des Münchner Justizpalastes bereits zu erkennen, dass man sich mit vier Millionen plus Zinsen und einem aus ihrer Sicht wohlformulierten Schuldeingeständnis der ISU zufriedengeben würde. Für den Verband, das machte ISU-Rechtsberater Michael Geistlinger klar, gehen beide Forderungen entschieden zu weit. Dann werde man eben "noch weitere 15 Jahre mit dem Fall verbringen", warnte Geistlinger. Diese Drohung sprach später auch Pechsteins Lebensgefährte Matthias Große, der Präsident der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft, aus.

Claudia Pechstein auf dem Weg in den Gerichtssaal

Claudia Pechstein auf dem Weg in den Gerichtssaal

Sollte es keine Einigung geben, könnte sich das Verfahren tatsächlich um weitere Monate, wenn nicht gar Jahre hinziehen. Richter Müller schloss aus, dass es am theoretisch nächsten Prozesstermin im Februar ein Urteil geben könnte. Stattdessen soll für den Fall, dass kein Vergleich zustande kommt, ein Gutachter feststellen, inwieweit die ISU bei der Verhängung der Sperre 2009 überhaupt schuldhaft gehandelt hat.

Die Kernfragen würden dann lauten: Durfte die ISU wegen der damals gefundenen auffälligen Retikulozyten-Werte bei Pechstein tatsächlich von Doping ausgehen? Oder hätte sie die später bei Pechstein diagnostizierte Blutanomalie viel stärker in Betracht ziehen müssen? Sollte die zweite Frage mit "nein" beantwortet werden, könnte Pechstein am Ende sogar komplett leer ausgehen.

Tränen bei Pechstein

"Die Ehrenerklärung ist der erste Schritt. Wir sind gespannt, was jetzt für ein Vorschlag des Weltverbandes kommt", sagte Pechsteins Anwalt Thomas Summerer. Ob die Formulierung dann überhaupt ausreicht, um konkrete Verhandlungen über eine Schadenersatzsumme zu beginnen, soll laut Summerer allein Pechstein entscheiden.

Die fünfmalige Olympiasiegerin verfolgte die Verhandlung am Donnerstag im Sitzungssaal hinter ihren Anwälten an der Seite ihres Lebensgefährten Große und ihres Managers Ralf Grengel. Als sie dem Gericht eine Erklärung verlas, in der sie in einer Mischung aus Anklage, Betroffenheit und Wut über den 15 Jahre währenden Kampf sowie von Existenzängsten und Selbstmordgedanken sprach, kamen ihr die Tränen. Richter Müller unterbrach die Sitzung. Zu diesem Zeitpunkt sah es nicht so aus, als würde die 52 Jahre alte Pechstein das schaffen, was Große wenig später drohend in Richtung der ISU-Anwälte rief: "Wer 15 Jahre kämpft, kämpft auch noch mal 15 Jahre lang!"