Gabriel Clemens stand im vergangenen Jahr im Halbfinale der WM

Darts-WM Gabriel Clemens - Macht er es nochmal?

Stand: 20.12.2023 20:19 Uhr

Gabriel Clemens kehrt nach seinem sensationellen WM-Auftritt Anfang des Jahres zurück in den Londoner Alexandra Palace. Aber die Ausgangslage ist gefährlich.

Gabriel Clemens hatte es schon geahnt. Immer wieder wurde er auf ein WM-Auftaktmatch gegen das niederländische Toptalent Gian van Veen angesprochen. "Erstmal muss er sein Erstrundenmatch gewinnen. Jeder sagt, ich spiele gegen Van Veen. Aber heutzutage darf man niemanden mehr unterschätzen".

Und was passierte? Van Veen verlor völlig überraschend gegen Man Lok Leung aus Hongkong.

Der 24-jährige Asiate warf bei seiner ersten WM-Teilnahme elf Mal das Maximum von 180 Punkten, das hatte nie zuvor ein Spieler in einem Erstrundenmatch im Alexandra Palace geschafft. Leung spielte sich in die Herzen der Fans, hat nichts zu verlieren und damit natürlich Chancen, auch den gesetzten Profi Clemens, die Nummer 22 der Dartswelt, in Schwierigkeiten zu bringen.

Gabriel Clemens weiß nach seinem sensationellen Halbfinaleinzug ja selbst am besten, wie schnell sich das Glücksgefühl im "Ally Pally" einstellen kann: "Beim letzten Mal lief es einfach perfekt. Irgendwann war ich drin, es ging von Runde zu Runde weiter. Natürlich würde ich das gerne wiederholen. Es kann aber auch direkt im ersten Spiel vorbei sein. Das ist Darts".

Dem 40-jährigen Saarländer ist bewusst, dass er anders als die absoluten Weltklassespieler stärker auf die Tagesform angewiesen ist. Dazu kommt die Erwartungshaltung. Der beste Deutsche ist kein Außenseiter mehr, sondern einer, den Außenseiter gerne schlagen würden.

Das Warten auf den ersten Turniersieg

Das Jahr 2023 verlief sportlich unspektakulär für Clemens, das Highlight aus deutscher Sicht lieferte Ricardo Pietreczko mit dem Gewinn des Turniers in Hildesheim. Gabriel Clemens wartet noch auf seinen ersten Turniersieg bei den Profis. 2023 bot der volle Terminkalender jede Menge Ablenkung vom Trainings- und Turnieralltag.

Clemens saß im "Aktuellen Sportstudio", warf Pfeile im "Fernsehgarten" oder für einen Sponsor Schneebälle bei der Biathlon-WM. "Mein Leben hat sich gar nicht so verändert, ich habe immer noch dieselben Freunde. Nur das Drumherum ist mehr geworden".

Jahrelang beantwortete Gabriel Clemens Reporteranfragen vor der WM selbst, schnell wurde ein Interviewtermin vereinbart – gerne morgens um acht vor dem Gang ans Trainingsboard. In diesem Jahr gab es zum ersten Mal eine Pressekonferenz in Saarbrücken, organisiert von einem Pharmakonzern.

Darts ist längst ein großes Business geworden. Die Vermarktungsprofis der PDC Europe (Anm.: organisiert Profiturniere außerhalb Englands) unterstützen Gabriel Clemens und seine Frau Lisa mit Tipps. Es geht darum auch mal "Nein" zu sagen, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und natürlich auch darum, die Aufmerksamkeit zu Geld zu machen. Große Firmen zahlen gut, damit ihre Mitarbeiter ein paar Pfeile mit dem "German Giant" werfen dürfen.

Hype und Heimat

Clemens Vorteil: der Hype erwischte ihn nicht als 18-jährigen, sondern kurz vor dem 40. Geburtstag. Wer einmal mit dem Saarländer gesprochen hat, merkt schnell, dass dieser Mann in sich ruht, große Lebenserfahrung und keinerlei Allüren hat.

Zuhause im Saarland betreibt er einen Dartsshop und hat sich ein Netzwerk an Unterstützern aufgebaut. Dazu gehört Training am Olympiastützpunkt in Saarbrücken und die Arbeit mit Experten zum Thema "Neurofeedback", das die Nervenstärke verbessern soll.

Fast 400.000 Euro hat Gabriel Clemens in den vergangenen beiden Jahren auf der Profitour eingesammelt, die Preisgelder locken aber auch jede Menge junger Talente an.

Dartsprofis stellen sich einem gnadenlosen Verdrängungswettbewerb. Viele erfahrene WM-Stammgäste wie der Österreicher Mensur Suljovic oder der Engländer Merwyn King haben diesmal die Qualifikation verpasst, einige Profis sind in den vergangenen Jahren sogar komplett von der Tour verschwunden. Sie konnten schlicht nicht mehr mithalten. Ein Umzug nach England, um Reisestrapazen zu verringern und sich noch mehr auf das Profitum konzentrieren zu können? Für den heimatverbundenen Clemens völlig undenkbar.

"Natürlich versuche ich weiter Profi zu bleiben. Ich durfte mein Hobby zum Beruf machen. Aber wenn es nicht mehr geht, dann müsste ich halt ganz normal wieder arbeiten gehen. Das wäre auch kein großes Drama", sagt der gelernte Industriemechaniker. Gabriel Clemens ist eben ein Realist. Dazu gehört auch das Wissen, dass für einen erneuten Hype im "Ally Pally" wirklich alles passen muss.