WDR-Sport Wie Inklusion im Breitensport und Paralympic-Erfolge zusammenhängen
Zwei Wochen lang wurden bei den Paralympics Sportler mit Handicap angefeuert und bewundert. Doch wie kann man die jetzige Aufmerksamkeit für mehr Inklusion im Alltag nutzen?
Sportlerinnen und Sportler mit Behinderungen waren am vergangenen Wochenende so sehr im Fokus wie schon lange nicht mehr. Das lag einerseits an den viel kritisierten Aussagen des Comedians Luke Mockridge. Aber vor allem waren es natürlich die Paralympics selbst, die am Sonntagabend in Paris zu Ende gingen und mit einer spektakulären Abschlussshow einen letzten Höhepunkt setzen konnten.
Um kurz vor 22 Uhr wurde schließlich das paralympische Feuer gelöscht - ein symbolhaftes Bild? Bewegt sich der Behindertensport nun wieder vier Jahre lang unter dem Radar der Aufmerksamkeit? Und inwiefern hängen die Erfolge der Spitzensportler mit den inklusiven Angeboten im Breitensport zusammen?
"Die Breite ist wichtig, um an die Spitze zu kommen", sagte Sina Eghbalpour, die an der Katholischen Hochschule NRW in Aachen zum Thema "Inklusion und Sport" lehrt, dem WDR. Das heißt übersetzt: Wer sich über viele Medaillen bei den Paralympics freuen will, muss den Breitensport fördern.
Ein Zusammenhang, der auch der Politik klar zu sein scheint. So hat die Landesregierung NRW im Herbst 2019 einen Landesaktionsplan beschlossen, der Sport und Inklusion in NRW voranbringen soll und sich vielen Bereichen widmete: Öffentlichkeit herstellen, Übungsleiter qualifizieren, Trainerausbildungen für Menschen mit Behinderungen öffnen, Barrieren abbauen - in den Köpfen und auf dem Weg zu den Sportstätten.
Zehn Prozent der Sportvereine in NRW sind inklusiv
Ein wichtiges Projekt, denn es gibt offenbar noch viel zu tun. Laut aktuellem Sportentwicklungsbericht des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), der Ende 2022 veröffentlicht wurde, gibt es 87.000 Sportvereine in Deutschland - und nur 6.300 von ihnen machen Angebote für Menschen mit Behinderungen. "Wir brauchen mehr als sieben Prozent!" forderte damals Stefan Kiefer, Generalsekretär des Deutschen Behindertensportverbands (DBS).
Zu wenig Sportvereine haben Abteilungen für Behinderte
Ob dieser Wert inzwischen gesteigert wurde, ist schwer zu sagen. Der Sportentwicklungsbericht des DOSB erscheint nicht jährlich, und auch in den Bundesländern hat man keine konkreten Zahlen. Die wissenschaftlich präzise Erhebung und zentrale Erfassung sei sehr schwierig, sagte Nils Grunau vom Landessportbund NRW dem WDR. Er geht davon aus, dass in NRW "grob 10 Prozent der Sportvereine" inklusive Angebote machen. Dabei sei eine Tendenz nach oben erkennbar gewesen in den vergangenen Jahren.
Willkommenskultur für Beeinträchtigte bei Vereinen gefordert
Aber eben auch noch viel Raum für Verbesserungen, findet Sina Eghbalpour und bemängelt eine fehlende Willkommenskultur bei vielen Vereinen. "Eigentlich gehört es bei jedem Sportverein in der Satzung festgeschrieben, dass Menschen mit Beeinträchtigungen willkommen sind." Oft seien es die kleinen Dinge, die einen großen Effekt hätten: Beispielsweise Fotos von Menschen mit Handicap auf der Vereinshomepage, ein Ansprechpartner für das Thema "Inklusion" oder eben entsprechende Satzungsänderungen. Solche Dinge würden oft unterschätzt, hätten aber positive Folgen:
Vereine, die das machen, haben entsprechenden Zulauf.
Sina Eghbalpour, Katholische Hochschule NRW in Aachen
Natürlich könne man nicht von heute auf morgen sämtliche Sportstätten im Land barrierefrei umbauen. Aber auch hier gelte: "Es geht nicht immer alles, aber auch niemals nichts." Wenn es sich baulich nicht umsetzen ließe, könnte man schon viele Hindernisse mit einer Begleitperson oder Assistenz angehen.
Wobei Eghbalpour nicht nur die ehrenamtlich geführten Vereine in der Pflicht sieht. Sie wirbt für einen Schulterschluss mit der Politik, um eine entsprechende Förderung flächendeckend und bundesweit sicherzustellen. Vor allem die Stadt- und Kreissportbünde hätten zuwenig Personal und entsprechend wenig Ansprechpartner für Menschen mit Beeinträchtigung. Das sieht offenbar auch die Landesregierung in NRW so, die WDR-Informationen zufolge einen neuen Landesaktionsplan auflegen will.
Gemeinsame Meisterschaften von Sportlern mit und ohne Beeinträchtigung
Viermal Gold im Weitsprung: Markus Rehm
Doch die finanzielle Ausstattung ist nur eine Seite beim Thema Inklusion. Auch die Sichtbarkeit und die Aufmerksamkeit für Para-Sportler und ihre Belange ist wichtig. "Gerade gibt es viel Aufmerksamkeit durch die Paralympischen Spiele", sagte Weitspringer Markus Rehm, der in Paris zum vierten Mal Gold holte, dem WDR. "Aber das wird auch wieder abnehmen." Sein Vorschlag, wie man dem Problem begegnen könne, dass man nur alle vier Jahre im Rampenlicht steht:
Sportler mit und und ohne Beeinträchtigung könnten zur gleichen Zeit ihre Meisterschaften austragen, das wäre doch ein großartiges Konzept.
Markus Rehm, Goldmedaillengewinner im Weitsprung
Im kleinen Rahmen funktioniert das bereits - so haben in Deutschland zuletzt beim Judo, Sportschießen oder Boccia gemeinsame Wettbewerbe stattgefunden. Doch beim großen, breitenwirksamen Sport ist man davon noch weit entfernt: Die Unterschiede sind immer noch riesig. So kann man schon jetzt Tickets kaufen für die Leichtathletik-WM der Sportler ohne Handicap 2025 in Tokio. Für die nächste Leichtathletik-WM der Para-Sportler gibt es hingegen noch nicht einmal einen Termin.
Unsere Quellen:
- Markus Rehm und Sina Eghbalpour im WDR-5-"Morgenecho"
- Landessportbund NRW
- Deutscher Olympischer Sportbund
- Staatskanzlei NRW
Über dieses Thema berichtet der WDR am 9. September auch im Hörfunk, unter anderem im Morgenecho auf WDR 5.