Skisprung-Experte Sven Hannawald zum Anzugs-Skandal in Norwegen.

Wintersport | Skispringen "Verhöhnung" und "Dreistigkeit" - Hannawald fordert nach Betrugs-Skandal "rigorose" Konsequenzen

Stand: 10.03.2025 15:08 Uhr

Der Skandal um manipulierte Anzüge der norwegischen Skispringer wirft viele Fragen auf. Skisprung-Experte Sven Hannawald fordert im SWR-Interview "rigorose" Konsequenzen.

Anonym gefilmte und veröffentlichte Videos sorgen im Skispringen seit Samstag für große Aufregung. Auf den Bildern ist zu sehen, wie das norwegische Team im Beisein von Cheftrainer Magnus Brevig die Wettkampfanzüge auf unzulässige Art und Weise bearbeitet. Sportdirektor Jan Erik Aalbu gestand am Sonntag bei einer Pressekonferenz ein, dass der Verband bei zwei Anzügen wissentlich betrogen habe. Aalbu selbst beteuert, persönlich - wie auch die Springer - nichts davon gewusst zu haben.

ARD-Skisprung-Experte Sven Hannawald ordnet die Situation im Interview mit dem SWR ein und fordert weitreichende Konsequenzen.

SWR: Was genau haben die Norweger an den Anzügen verändert?

Sven Hannawald: Es sieht so aus, als ob da ein runder Draht - oder etwas aus Kunststoff - in die Naht eingenäht wurde, das den Anzug versteift. Ich glaube, dass es in die Richtung geht, den Schritt zu beeinflussen - speziell vor der Messung, sodass man am Ende zwar durch die Messung kommt, am Ende des Tages in der Luft dieses Schrittmaß aber so beeinflusst wird, dass sie eine andere Technik springen können. Das nervt mich rigoros, und ich hoffe, dass jetzt die Möglichkeit besteht, gewisse Dinge aufzurollen. Wenn man das jetzt wieder runterspielt, dann gute Nacht um Sechs.

Ist das vergleichbar mit Doping oder wie unterscheidet sich dieses Pfuschen an einem Anzug?

Wir müssen schon zwischen körperlichem und materiellem Doping unterscheiden. Aber wir sprechen hier nicht von Schummeln, sondern von klarem Betrug. Deshalb brauchen wir ein klares Zeichen. Das bedeutet für mich, dass man komplett alle rauswirft. Wenn das nicht passiert, dann kommen in ein paar Jahren andere Nationen und betrügen erneut. Und ob das dann rauskommt, weiß ich nicht. Es hat ja auch immer mit Zufall zu tun, ob wir überhaupt die Möglichkeit haben, einen solchen Skandal aufzudecken.

In diesem Fall hatte der norwegische Sportdirektor, Jan Erik Aalbu, im Interview gesagt, auf dem Video handele es sich um Anzüge, die vorbereitet für die nächsten Weltcups in Oslo und Vikersund vorbereitet würden. Nur weil auf dem Video zu sehen war, dass dieser Anzug einen Chip hatte - und ein neuer Anzug hat keinen Chip - ist ihnen alles um die Ohren geflogen.

Das ist nicht das erste Mal, dass im Skispringen solche Manipulationen an der Ausrüstung stattfinden. Wer kontrolliert das?

Kleinigkeiten finden bei uns immer statt. Wie in jeder Sportart schaut man: Was würde es positiv beeinflussen und was steht nicht in den Regeln? Deswegen sind die Kontrolleure auch immer hinterher, weil man sich immer neue Ideen einfallen lässt. Aber ich habe das Gefühl, dass da eine Blindheit herrscht, dass gewisse Dinge ignoriert werden. Es hätte verhindert werden können, wenn die FIS weiter die Augen aufbehalten hätte.

Gibt es dafür nicht extra diese Chips, die Sie schon angesprochen haben?

Man hat versucht, durch die Chips eine gewisse Ordnung reinzukriegen - auch was die Anzahl der Anzüge angeht. In den vergangenen Jahren war es so, dass gute Nationen teils 40 bis 50 Anzüge gesprungen sind. Der Ansatz ist gut, aber man sieht jetzt, dass man die Chips auch faken und austauschen kann. Es ist natürlich fragwürdig, dass es Nationen gibt, die so einen Weg gehen. Das ist traurig. Aber am Ende heißt das für die FIS, sich nicht auf den Chips auszuruhen, nur weil man denkt, man hat jetzt etwas Neues.

Die Norweger sagten, es seien wohl nur einzelne - und nicht alle Anzüge - manipuliert worden...

Das ist nochmal ein größerer Schwachsinn als das, was ich vor Ort am Samstag schon gehört habe. Wenn ich jetzt vom Norweger Johann André Forfang lese, dass er von nichts gewusst hat - da könnte ich mich schon wieder auf meinen Hacken im Kreise drehen, bis es qualmt. Ich kann einfach nicht verstehen, wie man wirklich so dreist sein kann, uns alle zu belügen. Angefangen vom Sportdirektor, der uns erzählt, dass es irgendwelche Anzüge sind und vergisst, dass man da Chips und alles Mögliche sieht, auf denen "WM Trondheim" draufsteht. Und jetzt kommt noch die Verhöhnung von Forfang, der ganz reuemutig sagt: 'Ich habe von nichts gewusst.'

Als Springer weißt du, wie sich ein Anzug anfühlt. Wenn der steifer ist, merkst du das. Hundertprozentig wusste er davon. Das setzt dem ganzen Betrug noch mal Dreistigkeit obendrauf. Sven Hannawald zu Johann André Forfang, der beteuert, nichts von der Manipulation gewusst zu haben.

Wie wird sich das jetzt entwickeln?

In meinen Augen gibt es nur zwei klare Konsequenzen: Es müssen Köpfe rollen - ob das jetzt der Sportdirektor oder Norwegens Trainer Magnus Brevig ist. Und dann geht es entscheidend darum, welche Platzierungen erreicht wurden. Jetzt heulen alle rum und sagen: 'Das waren nur die Anzüge, mit denen von der Großschanze gesprungen wurde. Vorher waren die Anzüge alle regelkonform.'

Auf keinen Fall. Wir können es nicht beweisen, aber der Verdacht liegt sehr nahe, dass diese Anzüge auch in anderen Wettkämpfen und auch sportartübergreifend benutzt wurden. Männer wie Frauen, Kombination und Skisprung. Da muss man sich überlegen, ob man einmal wirklich rigoros ein komplettes Zeichen setzt, dass man alle rauswirft. Alle, die Medaillen erreicht haben, alle komplett konsequent weg. Nur durch diesen Schritt lernt man, dass das keinen Sinn macht. Sonst kommen andere drauf und machen es weiter. Wir brauchen ein klares Zeichen.

Und was die Kontrollen angeht: Wir müssen diese menschliche Konstante aus den Kontrollen rausbekommen. Ähnlich wie der 3D-Scanner, der das Körpermaß misst und dann Zahlen und Fakten schafft. Ebenso brauchen wir diesen Scanner oben am Anlauf, der auch den Anzug so vermessen kann, dass diese beeinflussbare menschliche Konstante rausgenommen wird. Der Computer gibt auch bei einem Millimeter, wenn der zu weit ist, rotes Zeichen.

Ist es realistisch, dass Athleten Medaillen aberkannt werden?

Ob man das so durchziehen kann, weiß ich nicht. Aber das Statement muss gesetzt werden - und zwar von der FIS und nicht von irgendjemandem. Wenn es gerichtlich im Nachgang doch nicht so machbar ist, dann wäre es mir völlig egal. Aber du musst das Zeichen setzen, dass die FIS hinter den Nationen steht, die betrogen wurden und nicht auf der Seite steht, die betrogen hat.

Sendung am Mo., 10.3.2025 15:00 Uhr, SWR Aktuell am Nachmittag, SWR Aktuell