Fußball-Nationalmannschaft Kevin Behrens, Superstar?
Dass Union Berlins Kevin Behrens es bis in die Nationalmannschaft schafft, schien vor zwei Jahren noch undenkbar. Dabei ist der Karrieresprung des Stürmers scheinbar folgerichtig. Und doch mindestens widersprüchlich. Von Ilja Behnisch
Ja, ja, ja, also wirklich, mit Äußerlichkeiten sollte man gar nicht erst anfangen, es zählen doch Taten allein. Außer natürlich man ist Model, was im vorliegenden Fall immerhin die halbe Wahrheit wäre, auch wenn es hier nur um ein Role-Model gehen soll. Und aber wirklich nicht um Äußerlichkeiten. Wobei, sorry, es muss gesagt werden: Dieser Kiefer allein! Eine Keilwaffe gegen jeden Widerstand. Dieser Blick, sobald der Ball in seinem Fokus ist! Als gäbe es nurmehr zwei Optionen: Tor oder Tod. Diese Haare, die auch in der aktuellen Raspel-Ultrakurz-Version noch so wirken, als wären auch sie ein einziger Muskel.
Kurzum: Kevin Behrens, Fußball-Profi in Diensten von Union Berlin und demnächst wohl auch in Diensten der deutschen Nationalmannschaft. Was vor gar nicht allzu langer Zeit noch so wahrscheinlich anmutete wie der Lottogewinn eines renitenten Glücksritters, der sechs Mal auf die eins zu setzen gedenkt.
Thomas Müller, Mats Hummels, Kevin Behrens
Aber es stimmt. Man kann es ja sehen. Man kann ja sehen, wie er unter ihnen weilt. Wie Kevin Behrens zwischen und neben den gewohnten National-Mannschaftsgesichtern durch den Weltenlauf schiebt. Thomas Müller, Mats Hummels, Kevin Behrens. Der auf den Fotos wirkt, als glaube er dieser, seiner Realität selbst noch nicht. Der auf den Fotos wirkt wie ein Überbleibsel aus der Bundestrainer-Jürgen-Klinsmann-Zeit. Weil er wirkt wie ein amerikanischer Fitness-Trainer, der zum Lachen nicht einfach in den Keller geht, sondern der sich dafür eigens ein Loch in den Boden buddelt. Nur mit Willenskraft.
Sollte Behrens im Freundschaftsspiel gegen die USA (Samstag, 14. Oktober 2023, 21 Uhr, live im rbb|24 Inforadio) zu seinem Länderspieldebüt kommen, wäre er mit 32 Jahren und dann 253 Tagen der neuntälteste DFB-Debütant der Geschichte. Vor Erich Schröder (32 Jahre, 157 Tage, Viktoria Köln, Nationalmannschafts-Debüt 1931), hinter Kurt Borkenhagen (32 Jahre, 280 Tage, Fortuna Düsseldorf, Nationalmannschaftsdebüt 1941). Und wie passend es wäre, käme er ausgerechnet gegen die Vereinigten Staaten von Amerika zur Länderspiel-Premiere. Denn was anderes als der amerikanische Traum ist es, den Kevin Behrens da lebt vor unser aller Augen? Nur dass er es statt vom Tellerwäscher zum Millionär vom Fünftliga-Kicker zum Nationalspieler geschafft hat. Wobei das mit dem Millionär inzwischen wohl auch eingelöst worden sein sollte.
Der "American dream", so geht die Erzählung, ist das Resultat vom Glauben an die eigene Stärke und von einem unbändigen Willen, es schaffen zu wollen. Wer nur hart genug arbeitet, so heißt es, erreicht sein Ziel. Es ist eine Erzählung, die auch über Kevin Behrens geht.
Zu viel Druck und harte Arbeit
Der gebürtige Bremer, der es dank seines Talents zwar bis in die A-Jugend von Werder schaffte, der anschließend aber nicht gut genug war für die erste oder gar zweite Mannschaft. Der in die dritte Mannschaft, fünfte Liga, musste und sich dann von dort hocharbeitete. Der schließlich mit 30 bei Union und also doch in der Bundesliga ankam. Der sich auch in Berlin immer weiter steigerte, weil, so heißt es, er immer weiter und hart an sich arbeitet. Der auf und neben dem Trainingsplatz mehr macht als die, die mehr Talent haben. Und sie allein dadurch übertrumpft.
Dabei gibt es auch die andere Erzählung des Kevin Behrens. Über den es ansonsten insgesamt recht wenig zu erfahren gibt. Der Vater? Begeisterter Amateur-Fußballer (Verteidiger). Die Schwester? Profi-Beachvolleyballerin (Vize-Europameisterin 2020). Behrens hat Frau und drei Kinder und ist in keinerlei sozialen Netzwerk unterwegs ("Brauch’ es einfach nicht."). Für den Urlaub, so war in einem Video für Unions Klub-TV zu erfahren, empfiehlt der Mann, der auf seiner Station in Sandhausen nur "Hardtwald-Ronaldo" genannt wurde, das beschauliche Mallorca und dort "Ballermann 6" und insbesondere "den Bierkönig", der "sehr, sehr inspirierend" sei. Mindestens mal so inspirierend wie sein kulinarischer Tipp zur Balearen-Insel: "Currywurst mit Senf."
Aber zurück zur anderen Erzählung des Kevin Behrens. Zu dessen Wahrheit auch gehört, dass er im Januar 2016 bei Rot-Weiss Essen vor die Tür gesetzt wurde. Er sei nicht immer angenehm gewesen als Mitspieler, so Behrens im Rückblick. Und vor allem auch, und nun wird es interessant, offenkundig zu verbissen. "Bis 23,24" habe er sich "extrem unter Druck gesetzt", so Behrens einst gegenüber Unions "AFTV". Dann habe er bemerkt, er komme "so nicht weiter", weshalb er "ein bisschen gelassener" geworden sei.
Akzeptanz und Erkenntnis
Was also lehrt uns die Nationalmannschafts-Karriere des Kevin Behrens angesichts dieser Widersprüchlichkeiten? Womöglich schlicht und ergreifend: Akzeptanz und Erkenntnis. Akzeptanz dafür, dass die deutsche Nationalmannschaft, dass der deutsche Fußball ein gehöriges Stürmer-Problem hat. Bei aller Liebe für die hart erarbeiteten Qualitäten von Kevin Behrens. Bei aller Anerkennung für sein sehr, sehr gutes Kopfballspiel, für sein gutes Anlaufverhalten, sein gutes "Bälle festmachen" (O-Ton jeder Fußball-Trainer). Akzeptanz dafür, dass zum Erfolg auch Glück gehört. Zum Beispiel das Glück, zur richtigen Zeit zum richtigen Klub (Union) und zum richtigen Trainer (Urs Fischer) gewechselt zu sein. Und die Erkenntnis, dass harte Arbeit und Gelassenheit kein Widerspruch sein müssen, sondern einander beflügeln können.
Wenn es das ist, was Kevin Behrens, das Role-Model, dem deutschen Fußball zu geben hat, wäre es allerhand. Das und die Äußerlichkeiten. Sorry.
Sendung: rbb24 Inforadio, 14.10.2023, 21 Uhr