Dramatischer Sieg beim FCK Dramatischer 4:3-Sieg beim FCK: Hertha spürt den Fiél-Effekt
Es war ein dramatisches Spektakel zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und Hertha BSC. Dass die Berliner letztendlich als Sieger vom Platz gingen, lag an unbändigem Willen, individueller Klasse – aber vor allem an Trainer Cristian Fiél, dessen Arbeit erste Früchte trägt. Von Marc Schwitzky
"Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich." Dieser fälschlich Mark Twain zugeschriebene Satz lässt sich auch immer wieder auf den Fußball anwenden. Vor fast genau einem Jahr – am 2. September 2023 – spielte Hertha am 5. Spieltag der damaligen Saison gegen den 1. FC Magdeburg. Es sollte sich ein legendärer Spielverlauf entwickeln, der in einem wahnwitzigen 6:4-Endstand für die Magdeburger mündete. Tore, Tore, Tore. Pures Spektakel. Kein Mittelfeld, nur Verteidigung und Angriff. Offenes Visier. Und Hertha als Verlierer, weil Gegner Magdeburg die letztendlich deutlich reifere Spielanlage hatte.
Ein Jahr später – am Samstagabend - entwickelte sich ein durchaus ähnlicher Spielverlauf zwischen dem 1. FC Kaiserslautern und der Hertha. 83 direkt geführte Zweikämpfe, 16 Fouls, 42 Schüsse, 18 Ecken, 7 Tore.
Der Lauterer Betzenberg beschenkte die Zuschauenden einmal mehr mit einem seiner ganz besonderen Spiele. Doch dieses Mal gingen die Berliner mit einem 4:3 als Gewinner vom Platz. Und das trotz einiger Probleme durchaus verdient. Weil Geschichte sich reimt und Hertha zwar vor ähnlichen Herausforderungen wie vor einem Jahr stand, aber dazugelernt hat und eine komplette Klaviatur an neuen Lösungen auf solchen chaotischen Spielverlauf anwenden konnte.
Hertha tritt auf dem Betze wie eine Heimmannschaft auf
Es heißt ja nicht umsonst "Der Betze brennt" – auch am Samstagabend entwickelte sich eine überaus hitzige Begegnung mit unwahrscheinlich hoher Intensität, die alles und jeden ansteckte. Hertha und der FCK schenkten sich von Beginn an nichts und hetzten sich gegenseitig zu einer Partie mit dem Herzschlag eines Kolibris hoch. Und doch ließen sich die Blau-Weißen selten aus dem Konzept bringen.
Hertha sollte die erste Halbzeit mit einem Ballbesitzanteil von 70 Prozent beenden – auswärts. "Wir dürfen Kaiserslautern nicht zu viel vom Ball überlassen, weil sie dann sehr viel Druck entwickeln können", hatte Trainer Cristian Fiél kurz vor dem Spiel noch gewarnt – und seine Mannschaft folgte.
Erneut nahm sich Hertha Zeit für seine Angriffe, erneut waren klare Muster im Aufbauspiel und dem Überleiten ins letzte Drittel zu erkennen. Durch kluge Dreiecksbildungen und Positionsrochaden gelang es immer wieder, kontrolliert den Raum auf den offensiven Flügel zu öffnen. Hertha trat im ersten Durchgang wie eine Heimmannschaft auf.
So fällt das 1:0 in der 28. Minute beinahe folgerichtig – und nach Plan. Das schnelle Überspielen des Lauterer Mittelfelds durch einen exzellenten Pass von Innenverteidiger Linus Gechter auf Rechtsverteidiger Jonjoe Kenny, der den Ball mustergültig mitnahm und Mittelstürmer Luca Schuler im Sechzehner bediente, war klar einstudiert.
Ein vermeidbarer Halbzeitrückstand
Doch trotz des vielen Ballbesitzes, zahlreicher vielversprechender Angriffe und der 1:0-Führung sollte Hertha mit einem Rückstand in die Halbzeitpause gehen. Schuld dafür waren zwei absolut vermeidbare Gegentore.
In der 32. Minute fiel das 1:1 – aus einer Szene, die Hertha in diesem Spiel sehr häufig begegnen sollte. Ein nur halbgar geklärter FCK-Eckball landete wieder bei Philipp Klement, der den vielen Raum nutzte und den Ball ins lange Ecke schlenzte. Das Verteidigen von Standardsituationen war am Samstagabend womöglich das größte Problem der "alten Dame". Viel zu oft verloren die Berliner das direkte Kopfballduell. Viel zu oft bekam Hertha keinerlei Zugriff auf den so wichtigen zweiten Ball.
Und so entwickelten die Pfälzer permanent Gefahr durch ruhende Bälle. Hier machte sich das Fehlen von Marc Oliver Kempf und Haris Tabakovic, die den Verein in den letzten Tagen noch verließen, sträflich bemerkbar. Ihre Kopfballstärke wird vermisst.
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Kurz vor dem Pausentee fiel dann das 2:1 für die "Roten Teufel". Gechter, beim 1:0-Treffer noch der wichtige Aufbauspieler, unterlief mit Mitspieler Diego Demme ein Missverständnis, sodass dessen Fehlpass in der Spieleröffnung bei Gegner Aaron Opoku landete, der für das 2:1 nur noch Herthas Keeper Tjark Ernst überwinden musste. Erneut ein leicht zu vermeidender Gegentreffer.
Das Vertrauen in das System
"Wir haben uns in der Halbzeit gesagt, dass wir so weitermachen müssen, trotz der zwei Gegentore", berichtete Demme nach Abpfiff. Und so taten es die Blau-Weißen auch. Bereits in der 51. Minute fiel der 2:2-Ausgleichstreffer – erneut nach einem klaren Muster. Das Tor war nahezu baugleich zum 1:0. Wieder erkannte ein Innenverteidiger – Marton Dardai – durch einen behutsamen Spielaufbau die Lücke im FCK-Gebilde. Dieses Mal wurde Michal Karbownik auf die Reise geschickt, der den Ball bis vor den Strafraum trieb und den im Halbraum postierten Torschützen Derry Scherhant fand. Erneut ein Tor der deutlich erkennbaren Abläufe.
Entscheidend für die Fiél-Philosophie ist das Positionsspiel. Die Räume müssen besetzt sein –egal von wem. Der 3:2-Führungstreffer in der 64. Minute ist ein Musterbeispiel dafür. Hertha gewann den Ball in der gegnerischen Hälfte, stand aber sehr eng. Rechtsverteidiger Kenny erkannte das, sprintete nach vorne und besetzte den zuvor leeren offensiven Flügel. Das war elementar, um nach Ballgewinn sofort Tiefe zu schaffen: Kenny stand richtig, erhielt den Ball und bediente erneut Schuler im Strafraum.
Das Comeback Herthas war darin begründet, sich nicht vom hektischen Spielverlauf verwirren zu lassen, sondern am spielerischen Stil festzuhalten und sich fußballerisch-taktisch zu belohnen. Hertha blieb bei sich.
Es gibt noch viel Arbeit
Dass Hertha die Begegnung nach dem 3:2-Treffer nicht herunterkühlen konnte, zeigt auf, dass die Berliner noch längst nicht am Ende ihrer Entwicklung angelangt sind und noch viel Arbeit auf das Trainerteam wartet.
Erneut holte ein einfacher Fehler – ein Ballverlust von Demme in der 68. Minute – Kaiserslautern mit dem 3:3-Ausgleich zurück. Im Anschluss fing die Partie noch einmal Feuer, es ging hin und her - das Spiel fand nur noch in den jeweiligen Gefahrenzonen statt. In jener Phase hätte das Spiel auch zugunsten Lauterns, das weiter gefährlich blieb, kippen können.
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Doch in der 79. Minute sollte Herthas Michael Cuisance den Schlusspunkt setzen. Sein Tor zum 4:3-Auswärtssieg stellt die weitere Komponente in der Berliner Erfolgsformel da: individuelle Qualität. Der Mittelfeldstratege schlenzte den Ball nach dem sehr klugen Antäuschen eines vermeintlichen ersten Schusses mit etwas Glück abgefälscht ins FCK-Gehäuse. Es sind solche Momente, die enge Partien entscheiden – und die ein Aufstiegsaspirant braucht.
Immer mehr der Fiél-Formel erkennbar
"Es war ein verdienter Sieg, weil wir unser Spiel bis zur letzten Minute durchgezogen haben. Wir haben unsere Räume gespielt, nicht irgendwelche langen Bälle geschlagen. Darum geht’s, dafür trainieren wir", fasste Trainer Fiél die Partie am Sky-Mikrofon zusammen. Eine treffende Analyse, denn trotz klarer Defizite – dem Verteidigen von Standardsituationen und vermeidbare individueller Fehler – war Hertha am Samstagabend die spielerisch bessere Mannschaft.
Die Berliner spielten trotz mehrerer Rückschläge immer mutig auf, versteckten sich nicht in Alibi-Pässen oder hektischen Klärungsversuchen; sie spielten permanent in den Druck, in den engen Raum hinein; sie suchten immer die spielerische Lösung. Jene Klarheit bei solch einem aufgeregten Spielverlauf und in solch einem Hexenkessel von Stadion ist alles andere als selbstverständlich und als klares Zeichen der Weiterentwicklung unter dem neuen Trainerteam zu verstehen. Die Fiél-Formel ist immer klarer zu erkennen und geht immer besser auf.
Und so wiederholt sich die Geschichte aus dem Magdeburg-Spiel von vor einem Jahr nicht, sie reimt sich – denn im September 2024 ist Hertha die Mannschaft mit der reiferen Spielanlage.
Damit die "alte Dame" in dieser Saison wirklich eine andere Geschichte schreibt, muss nun auf dem Sieg gegen Kaiserslautern aufgebaut werden. Jener Erfolg darf keine nette Kurzgeschichte gewesen sein, sondern nur der Beginn eines neuen Kapitels.
Sendung: rbb24 Inforadio, 31.08.2024, 20:30 Uhr