Erschöpfte Sportlerinnen

Gefährlicher Energiemangel im Sport Energiedefizit RED-S - Hoffnung auf Diagnoseverfahren steigt

Stand: 27.06.2023 15:45 Uhr

Wer weniger wiegt, ist im Sport erfolgreicher. Diese vermeintliche Erfolgsformel kann für Athleten verheerende Folgen haben: ein Leiden am RED-S-Syndrom. Bald könnte ein neues Verfahren die schwierige Diagnose des bedrohlichen Syndroms zuverlässig ermöglichen - und so Leben retten.

Von Hajo Seppelt und Lea Löffler

Anja Kern liebt den Triathlon. Sie versuchte lange alles, um als Amateurin erfolgreich zu sein. Auch leicht und dünn zu sein wie ihre Vorbilder, war ein Ziel, dem sie nacheiferte. Die zahlreichen Verletzungen, ständige Müdigkeit und die immer häufiger auftretenden Infekte brachte Anja Kern nicht mit ihrem Training und ihrer Ernährung in Zusammenhang. Bei Ärzten fand sie keine Antwort auf ihre Probleme. Sie sagt: "Letztendlich war ich so ermüdet, erschöpft und krank, dass ich schon wirklich konkrete Suizidgedanken hatte."

Studie soll Früherkennung von RED-S ermöglichen

Der Grund: Anja Kern litt am RED-S-Syndrom, dem relativen Energie-Defizit im Sport. Sie hatte sich im Verhältnis zu ihrem Trainingsumfang nicht ausreichend ernährt, ihr Körper geriet in eine permanente Ausnahmesituation. Weitere Folgen von RED-S können sein: Depression, Wachstumsstörung, Knochenbrüche, schwerwiegende hormonelle Probleme, wie ausbleibende Periode bei Frauen oder eingeschränkter Sexualtrieb bei Männern. Experten schätzen, dass rund 20 bis 30 Prozent aller Athleten vom Syndrom betroffen sind.

Da RED-S auch unter Ärzten noch weitgehend unbekannt ist und es bisher keine eindeutige Diagnose gibt, kann für Betroffene der Weg bis zur Behandlung häufig schmerzhaft und lang werden. Ein Problem, das Forscherinnen der Deutschen Sporthochschule Köln nun bekämpfen wollen. In einer Studie testen sie ein Diagnoseverfahren, mit dem es möglich sein soll, ein RED-S-Leiden frühzeitig zu erkennen – und das ohne jahrelangen Ärztemarathon.

"Viele Betroffene, die sich des Problems nicht bewusst sind"

Rund sechzig Männer und Frauen nehmen an der Studie zur Entwicklung des Verfahrens teil. Die ARD-Dopingredaktion begleitet zwei Frauen zum Auftakt der Studie. Zu Beginn werden die Probandinnen untersucht und Basis-Daten erfasst: Gewicht, Größe, Anteil an Muskelmasse und Fett im Körper, dazu der Kalorienverbrauch in Ruhephasen.

In einem Fragebogen geht es dann um Ernährung und Verletzungsgeschichte. Um das Risiko von RED-S zuverlässig einschätzen zu können, ist eine umfassende Betrachtung der Athleten notwendig. Probandin Sarah Valder nimmt an der Studie teil, um zu helfen, das Syndrom greifbarer, bekannter und damit letztlich auch besser behandelbar zu machen: "Es gibt sehr viele Betroffene, die sich ihres Problems nicht bewusst sind."

Hormonmessung per Fingerpieks

Während des sechsmonatigen Analysezeitraums kommt ein neu entwickeltes Tool zum Einsatz, das zur Abnahme von Kapillarblut an der Fingerspitze genutzt wird. Frauen nehmen hierbei das Blut zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrem Zyklus ab, für Männer gilt es, alle 30 Tage Kapillarblut einzuschicken.

Das Besondere: Das ähnlich wie ein Corona-Test aussehende Blutabnahme-Gerät kann per Post verschickt werden. Ein neu entwickeltes Pad, das das Blut aufsaugt, kann dieses länger konservieren. Im Labor werden im Blut dann zehn verschiedene Hormone untersucht. Zusammen mit einem angefertigten Ernährungs- und Bewegungsprotokoll sowie den Vermessungen im Institut soll zum Ende der Studie eine zuverlässige Aussage getroffen werden können, ob der jeweilige Proband von RED-S betroffen ist - so zumindest das Ziel.

Aus dem Labor auf den Sportplatz

Die Studie läuft noch bis 2024. Durch das neue Verfahren könnte RED-S künftig in wenigen Monaten diagnostiziert werden, bisher tappen Betroffene zum Teil jahrelang im Dunkeln. Damit die Hilfe auch ankommt, ist für Studienleiterin Chiara Tuma der Brückenschlag zum organisierten Sport wichtig: "Unser Ziel ist es natürlich auch, die Forschung in die Praxis zu übertragen und dieses Tool dann auch in der Praxis anzuwenden, in Verbänden, in Vereinen, bei Athletinnen selber."

Die ehemals betroffene Triathletin Anja Kern denkt, dass ihr ein solches Diagnoseverfahren entscheidend geholfen hätte. "Das hätte mir vielleicht zehn Jahre lang vieles erspart", sagt Kern. Inzwischen hat sie Sport und Ernährung in Einklang gebracht, ist trotz hohen Trainingsumfanges gesund. Dass es bald eine standardisierte RED-S-Diagnose für Frauen und Männer geben könnte, stimmt sie hoffnungsvoll.