Historischer WM-Erfolg USA - kleine Handball-Nation, großer Sieg
Es gibt keine Klubs, nur ganz wenige Spieler und kein Geld: Bei der Handball-WM hat das Team der USA dennoch für eine Riesenüberraschung gesorgt.
Dieser Tag wird in die Sport-Geschichte der Vereinigten Staaten eingehen: Freitag, der 13. Januar 2023. Im schwedischen Jonköpping schlug das Handballteam der USA bei der Weltmeisterschaft die Marokkaner. Das 28:27 war der erste Sieg einer US-amerikanischen Handball-Mannschaft überhaupt bei einer Weltmeisterschaft.
Nun hat die Handball-Geschichte der USA nicht sonderlich viele Kapitel und schon gar nicht erfolgreiche. Handball ist in den Vereinigten Staaten eine exotische Sportart, etwa so bekannt wie Lacrosse in Deutschland.
Die Nationalmannschaft der Riesennation hatte bislang eine wenig ruhmreiche Erfolgsbilanz. Sechsmal nahmen die USA bislang an Weltmeisterschaften teil. Fünfmal beendeten sie das Turnier als Letzter, nur einmal - bei der WM 1995 - wurden sie wegen der Tordifferenz 21. von 24 Mannschaften.
US-Teammanager Hertelt: "Wir sind noch alle geflasht"
Unso bedeutender war nun der erste Sieg. "Wir sind noch alle geflasht. Es war ein hochemotionaler Abend für uns. Natürlich haben wir in der Kabine ordentlich gefeiert", sagt Andreas Hertelt am Tag nach dem besonderen Sieg.
Hertelt, in den 1980er und Anfang 90er Jahre Profihandballer in Deutschland und früher Manager bei TuRU Düsseldorf, trat vor viereinhalb Jahren an, die Strukturen zu verbessern und eine neue Mannschaft aufzubauen. Dazu ging er mit Robert Hedin, Nationaltrainer der USA und früher Profitrainer u.a. bei GWD Minden und TuS N-Lübbecke, erst einmal auf die Suche nach Spielern.
In den USA ist mit Handball nichts zu verdienen
In den USA brauchten sie nicht groß zu fahnden, denn dort gibt es gar keine Klubs, Handball wird - wenn überhaupt - gelegentlich in Schulen gespielt. Zum Vergleich: Während in Deutschland die Handballvereine 700.000 Mitglieder zählen, sind in den USA gerade mal 1.500 Handballerinnen und Handballer aktiv.
"Jeder talentierte Sportler in Amerika spielt kein Handball, weil man damit überhaupt kein Geld verdienen kann", sagt Andreas Hertelt. Also klapperte das Duo Hedin/Hertelt europäische Klubs ab, wo ein Großteil der amerikanischen Handballer aktiv ist. "Wir haben geguckt, dass wir Spieler finden, die eine doppelte Staatsbürgerschaft haben, die handballerisch in Europa ausgebildet wurden. So konnten wir das Niveau unserer Mannschaft steigern", so der Manager über seine Pionierarbeit.
Zwei US-Boys zu Hause auf sich allein gestellt
In Deutschland am bekanntesten sind die Brüder Ian und Patrick Hueter, die für den Zweitligisten TSV Bayer Dormagen auflaufen, sowie Paul Skorupa vom VfL Lübeck-Schwartau, ebenfalls zweite Liga. Einer der Topleute im Team ist der ungarische Torwart Pal Merkovsky, der mit US-Pass für das Nationalteam und in der ersten ungarischen Liga für Gyöngyos spielt.
Kurios ist die Geschichte der beiden einzigen Spieler im Team, die nach wie vor in ihrem Heimtland leben und dort dem Sport "nachgehen": Rechtsaußen Ty Reed und Kreisläufer Andrew Donlin. "Tyler Reed und Andrew Donlin spielen zu Hause gar kein Handball. Sie werfen den Ball 150 Mal gegen die Wand, gehen in den Kraftraum oder laufen zehn Kilometer", erklärt Hertelt. Nur an den vier Lehrgängen im Jahr stoßen sie zur Mannschaft.
Robert Hedin, Trainer der USA
"Wir sind eine Multikuli-Truppe mit Spielern aus 13 Nationen, die sich alle super verstehen. Dieser Teamgeist zeichnet uns aus", sagt der gebürtige Ratinger. Sein Team, so glaubt er, könnte maximal mit Mannschaften aus dem unteren Tabellenbereich der zweiten deutschen Liga mithalten.
Handball in den USA pushen
Der Aufbau neuer Strukturen im US-Handball hat aber auch übergeordnete Gründe. Im Jahr 2028 werden die Olympischen Spiele in Los Angeles ausgetragen. Da ist das Interesse vor allem des Weltverbands IHF groß, dass dem Handballsport in den USA mehr Gewicht verliehen wird. Bereits jetzt gab es Wildcards für das US-Team für die Weltmeisterschaften 2025 und 2027.
Anreise zahlen die Spieler des US-Teams selbst
Eine finanzielle Förderung kommt bei der aktuellen Mannschaft allerdings noch nicht an. Siegprämien? Daran wagen die US-Handballer nicht zu denken. "Geld gibt es bei uns nicht. Im Gegenteil: Wenn wir uns zu Lehrgängen treffen, müssen die Spieler die Kosten für die Anfahrt selbst tragen", so Andreas Hertelt.
Die Spieler brächten dafür vor allem eine hohe Eigenmotivation mit. "Dieser American Spirit, dieser unbedingte Wille, der ist bei jedem spürbar. Das ist vielleicht merkwürdig für einen Deutschen, dass man so inbrünstig für eine Nation spielen kann", sagt der Teammanager.
Wohin diese Inbrunst nun führt, das wird sich schon am Sonntag (15. Januar) zeigen, dann geht es gegen die Weltklassemannschaft aus Kroatien. Zwei Tage später spielt Hertelts Mannschaft gegen Ägypten.
Er selbst erwartet nichts anderes als zwei klaren Niederlagen. Aber die Hauptrunde hat seine Mannschaft dank des historischen Sieges gegen die Marokkaner so gut wie gesichert. Andreas Hertelt: "Und dann in Malmö vor ausverkaufter Halle zu spielen, davon haben wir vorher nur geträumt."