Saint Kitts und Nevis beim Gold Cup Die süße Erfolgsstory der “Sugar Boyz”
Der alle zwei Jahre ausgetragene Gold Cup bietet kleinen Karibik-Nationen die Chance, mal auf der großen Fußball-Bühne zu spielen. Diesmal ist ein regelrechter Winzling dabei - ein Land von der Größe Bielefelds.
Wenn Kleine auf Große treffen, ist oft vom Duell David gegen Goliath die Rede. Für die zweite Vorrunden-Partie der Gruppe A des Gold Cup am Mittwoch in St. Louis ist dieser Vergleich jedoch noch untertrieben. Dort empfängt Titelverteidiger USA Turnier-Neuling Saint Kitts und Nevis. Sportlich wie geografisch eine Begegnung, die unterschiedlicher kaum sein könnte.
Die USA sind in der FIFA-Weltrangliste 13.. Die "Sugar Boyz", wie das Nationalteam von Saint Kitts und Nevis genannt wird, liegen auf Platz 139. Und somit noch hinter beispielsweise den Komoren (131), den Salomon-Inseln (134) oder Turkmenistan (137).
Weltmacht gegen Winzling
Noch gravierender wird die Diskrepanz beim Blick auf die Bevölkerung und Fläche. In beiden Kategorien (335 Mio. Menschen und 9,83 Mio. Quadratkilometer) rangieren die USA weltweit jeweils auf Platz drei. Saint Kitts und Nevis wird mit einer Population von rund 47.000 Einwohnern als neuntkleinste Nation geführt und mit einer Größe von 261 Quadratkilometern - vergleichbar mit Bielefeld - gar als Achtkleinste. Es trifft also Weltmacht auf Winzling.
“Aber auf dem Fußball-Platz heißt es 11 gegen 11 - und wir werden alles geben”, sagt Torhüter Julani Archibald. Er schreibt mit den "Sugar Boyz" derzeit eine süße Erfolgsgeschichte. Die Mannschaft hat nicht nur erstmals die Endrunde der Kontinentalmeisterschaft von Nord- und Zentralamerika sowie der Karibik erreicht, sondern sich auch - man kann es eigentlich erahnen - als kleinste Nation für das seit 1963 ausgetragene Turnier qualifiziert.
Großeltern haben bis in Morgenstunden gefeiert
Nach zwei Wochen Trainingslager in Fort Lauderdale gewann das Team von Trainer Austin Huggins dort gegen Curaçao und Französisch Guayana jeweils im Elfmeterschießen. Als Verbandspräsident Atiba Harris einen Tag nach dem entscheidenden Sieg dem Karibik-Sportsender “SportsMax” ein Interview gab, musste er gar nicht erst betonen, dass der Erfolg ausgiebig gefeiert wurde, sondern begann das Gespräch vorsorglich mit den Worten: “Wir sind alle noch etwas müde, wie sie meinem Gesicht entnehmen können.”
Der 38-Jährige erwähnte stolz, dass er “zahlreiche Videos aus der Heimat mit jubelnden Menschen” gesehen habe. “Selbst unsere Großeltern sind bis in die frühen Morgenstunden wach geblieben und haben gefeiert”, so Harris.
Schnellster Mann der Welt von Saint Kitts und Nevis
So ausgelassen haben die Kittitians und Nevisians bislang nur zelebriert, als Sprinter Kim Collins mit der Weltelite um die Wette lief. Vor allem am 25. August 2003. An jenem Montag sprintete er bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft im Pariser Stade de France sensationell zum Titel über die 100 Meter. Die Regierung erklärte anschließend den 25. August zum “Kim-Collins-Tag” im Land. Neben dem WM-Gold 2003 gewann Collins bei globalen Titelkämpfen noch vier Bronzemedaillen.
Nun sorgen die "Sugar Boyz" für sportliche Schlagzeilen über die Landesgrenzen hinaus. Dabei waren sie selbst im kleinen und überschaubaren Fußball-Verband der Karibik (CFU), in dem Nationen wie Jamaika oder Trinidad & Tobago als Nonplusultra gelten, Jahrzehntelang nur ein Mitläufer.
Erstes Freundschaftsspiel 1938
Das erste Freundschaftsspiel in der Geschichte des Landes ging am 18. August 1938 mit 2:4 gegen Grenada verloren. Die ersten Qualifikationspartien absolvierte Saints Kitts und Nevis 1979 im Zuge der CFU-Meisterschaft. 1997 standen die "Sugar Boyz" sogar im Finale - unterlagen aber Trinidad & Tobago 0:4.
Man wolle beim Gold Cup nicht nur “mitmachen”, sondern auch “konkurrenzfähig” sein, hatte Verbandspräsident Harris vor Turnierbeginn betont. Zum Auftakt misslang dies - gegen Trinidad & Tobago gab’s am Sonntag eine 0:3-Niederlage. Verliert das Team auch gegen die USA, könnte das schon gleichbedeutend mit dem Vorrunden-Aus sein.
Torwart aus der fünften spanischen Liga
Das Gros der Mannschaft besteht aus Halbprofis. Neun von ihnen spielen in der heimischen SKNFA Premier League. Verteidiger Gerald Williams ist bei TRAU FC in der zweiten indischen Liga unter Vertrag, Torwart Archibald gar in Spaniens fünfter Liga.
Bekanntester Akteur ist Romaine Swayers. Der Mittelfeldmann absolvierte in der Saison 2020/21 einige Partien für West Bromwich Albion in der Premier League und spielt derzeit für Cardiff FC in der zweitklassigen Championship. Sawyers ist, wie sieben weitere Nationalmannschafts-Kollegen, in England geboren. Seine Großeltern stammen aus Saint Kitts und Nevis.
Traum England, Alternative "Sugar Boyz"
Er hatte immer gehofft, eine Einladung zur englischen Nationalmannschaft zu bekommen. Und einige Male stand er sogar auf Abruf bereit. Doch sein großer Traum erfüllte sich nie. Deshalb entschied sich Sawyers 2012 für die "Sugar Boyz". "Anfangs galt ich als Engländer, der nur Saint Kitts und Nevis repräsentiert", erinnert sich Sawyers. "Aber dann hatte ich für die U23 einen Hattrick gegen Trinidad & Tobago erzielt. Und dann hieß es sofort, ‘er ist einer von uns’".
Womöglich wäre ja auch Marcus Rashford Nationalspieler von Saint Kitts und Nevis geworden - wenn er nicht so talentiert gewesen wäre. Der Stürmer von Manchester United hat ebenfalls Großeltern in der Karibik-Nation. Doch im Gegensatz zu Sawyers fiel Rashford den Scouts der englischen Nationalmannschaft bereits als Teenager auf wurde schon als 18-Jähriger bei der EM 2016 für die "Three Lions" eingesetzt.