Abschied ohne Tränen Jürgen Klopp - ein letztes Mal Zirkusdirektor von Anfield
Wie schon bei Mainz und Borussia Dortmund verabschiedete sich Jürgen Klopp auch vom FC Liverpool als Held. Nach seinem letzten Spiel beschwor er die Zukunft unter seinem Nachfolger Arne Slot - und wurde umgehend vom Trainer zum Fan.
Wer Tränen erwartet hatte, wurde enttäuscht. Und Tränen hatte jeder erwartet, wirklich jeder. Auch er selbst. "Ich bin total überrascht. Ich dachte, ich wäre jetzt schon am Boden zerstört, aber das bin ich nicht. Ich bin einfach so happy", rief Jürgen Klopp ins Mikrofon nach seinem letzten Spiel als Trainer des FC Liverpool, einem 2:0 gegen die Wolverhampton Wanderers.
Der finale Sieg seiner Amtszeit dürfte auch der unwichtigste gewesen sein. Liverpool stand schon vor dem letzten Premier-League-Spieltag als Tabellendritter fest. Die Partie war einfach nur das 90 Minuten lange Vorprogramm zu Klopps Abschiedszeremonie nach Schlusspfiff in der Sonne von Anfield.
Podium für Klopp im Mittelkreis
Der Verein hatte ein Podium aufgebaut im Mittelkreis, die Spieler bildeten einen Spalier, einen "guard of honour", wie es in England heißt. Zuerst wurden jene Profis verabschiedet, die Liverpool ebenfalls verlassen: Thiago Alcântara, der zu oft verletzt war, um die Hoffnungen und Erwartungen zu erfüllen, die Liverpool in ihn hatte bei seiner Verpflichtung vor vier Jahren.
Und Joël Matip, der Hoffnungen und Erwartungen erfüllte, die niemand gehabt haben dürfte: Er kam 2016 als einer von Klopps ersten Transfers, ablösefrei – und wurde zu einem prägenden Spieler der vergangenen Jahre.
Abschied auch für Klopps Mitarbeiter
Auch Klopps Mitarbeiter, die den Verein mit ihm verlassen, wurden einzeln auf die Bühne gebeten, um einen angemessenen Abschied zu bekommen. Aber der Höhepunkt der Veranstaltung war natürlich Klopps Auftritt, beziehungsweise: sein ganz offizieller Abtritt. Ein letztes Mal in seiner fast neun Jahre langen Amtszeit gelang es ihm, Anfield für sich einzunehmen mit einer Rede, die halb Stand-Up-Comedy war, halb Motivations-Seminar, und die zur allgemeinen Überraschung ohne Tränen auskam.
Klopp erinnerte an eine berühmte Wendung aus seiner ersten Pressekonferenz, im Oktober 2015: "Die Leute haben mir zuletzt gesagt, ich hätte sie von Zweiflern zu Glaubenden gemacht. Aber das stimmt nicht. Glauben ist eine aktive Tat. Ich habe nur gesagt, wir müssen es tun. Ihr habt es gemacht!" Mit der Betonung auf Ihr.
Beatles-Song mit Klopp-Text
Immer wieder wurde Klopp unterbrochen, von den Gesängen des Publikums. Sie sangen ein letztes Mal dieses Lied, das schon während der Partie gegen die Wolverhampton Wanderers in Dauerschleife zu hören gewesen war. Die Melodie stammt von "I feel fine" von den Beatles, der Text lautet: "I’m so glad, that Jürgen is a Red." Ich bin so froh, dass Jürgen ein Roter ist.
Und Klopp machte umgehend klar, dass das so bleiben wird, dass er weiter ein Roter sei. Sein Arbeitsverhältnis mit dem FC Liverpool geht zu Ende, aber die Beziehung zu dem Verein soll bleiben: "Seit heute bin ich einer von Euch!", rief er den Menschen in Anfield zu - ein Liverpool-Fan.
"Es fühlt sich an wie ein Anfang"
Klopp weiß, dass es eine Bürde sein kann, ihn als Vorgänger zu haben - man muss sich nur bei Thomas Tuchel erkundigen, dem es bei Mainz 05 und Borussia Dortmund nicht gelang, den emotionalen Krater zu füllen, den Klopp hinterlassen hatte. Bei seinem Abschied aus Anfield richtete Klopp deshalb seinen Blick in die Zukunft und versicherte dem Verein, dass auch nach seinem Abschied alles gut werden würde.
Als Sir Alex Ferguson vor elf Jahren seinen Ausstand bei Manchester United gab, erteilte er dem Publikum den Job, ab sofort hinter dem neuen Trainer zu stehen - ohne Erfolg. David Moyes hielt keine Saison durch.
Anschubhilfe für Arne Slot
Klopp forderte Unterstützung für seinen Nachfolger auf seine Weise ein. Zu der Melodie von "Life is Life", zu der das Anfield-Publikum in den vergangenen Jahren oft seinen Namen gesungen hatte, rief er ins Mikrofon: "Ar-ne Slot! Nana, nanana!" Dabei ist der Niederländer Slot, der von Feyenoord kommt, von Vereinsseite noch gar nicht als neuer Trainer bestätigt.
Das Publikum folgte seinen Worten an diesem Nachmittag wie denen eines religiösen Anführers. Kein Wunder: Klopp hat dem FC Liverpool seinen Stolz zurückgeben, hat ihn zurück an die Spitze des europäischen und englischen Fußballs geführt mit dem Gewinn der Champions League (2019) und mit der ersten Meisterschaft seit 30 Jahren (2020).
Abgang als Held - überall
Doch während er selbst gesteht, dass er mehr Trophäen hätte gewinnen können in seinen fast neun Jahren am River Mersey, so besteht kein Zweifel an seiner emotionalen Leistung: Klopp und Liverpool, das war eine Liebesgeschichte, wie es sie selten gibt im internationalen Fußball.
Mit seinen letzten Worten gab Klopp die Verehrung des Publikums zurück: "Ich liebe Euch über alles! Ihr seid die besten Menschen der Welt!", rief er. Dann lief er mit seinen Mitarbeitern vor die Kop-Tribüne, machte mit ihnen die Welle und boxte mehrfach in die Luft - ein letztes Mal brachte Klopp jene Geste zur Aufführung, die das Zeichen seiner Siege geworden ist. Ein letztes Mal war er der Zirkusdirektor von Anfield.