FIFA WM 2022 Mit WM-Titel in Rente? Van Gaal feilt am Gott-Status
In seiner dritten Amtszeit als Bondscoach soll Louis van Gaal die Niederlande endlich zum WM-Titel führen. Der 71-Jährige eckt bei dieser Mission wieder einmal an. Dass ihn selbst eine Krebserkrankung nicht stoppen kann, könnte zum Trumpf werden.
Dass Louis van Gaal den Trainer und den Menschen Louis van Gaal für ziemlich großartig hält, ist wohl bekannt. Sein Selbstbewusstsein war einst selbst für die Alphatiere des FC Bayern nicht mehr auszuhalten. Die Liaison mit den Münchnern endete nach zwei Spielzeiten im Streit. "Sein Problem ist, dass er sich nicht für Gott hält, sondern für Gottvater", schimpfte damals ein gewisser Uli Hoeneß. Das war 2011.
Dass sich van Gaal seitdem nicht großartig verändert hat, wurde am ersten Tag seiner insgesamt dritten Amtszeit als Trainer der niederländischen Fußball-Nationalmannschaft wieder einmal deutlich. Der mittlerweile 71-Jährige, der für seine Rückkehr seinen Ruhestand unterbrach, beglückwünschte den Fußballverband an seinem ersten Arbeitstag zu einer hervorragenden Wahl. "Wer soll es auch sonst machen?", fragte er, ohne eine Antwort zu erwarten: Van Gaal oder niemand.
Van Gaal überrascht mit Noppert
Nun ist es nicht so, dass van Gaal in seiner Heimat völlig ohne Kritik schalten und walten könnte. Dass ihm die Meinung anderer völlig egal ist, bewies aber nicht zuletzt die viel diskutierte Entscheidung in der Torwart-Frage. Den WM-Helden von 2014, Tim Krul, schmiss er bereits im September raus, die eigentliche Nummer eins Jasper Cillessen berief er überraschend nicht in den Kader.
Dafür im ersten WM-Spiel gegen den Senegal (2:0) zwischen den Pfosten: Nationalelf-Debütant Andries Noppert. "Das war eine gute Wahl", kommentierte van Gaal. Klar: Es war ja auch seine Wahl.
Van Gaal noch ungeschlagen
Klar ist aber auch: Der Erfolg gibt van Gaal wieder einmal Recht. Seit seiner Rückkehr auf die holländische Trainerbank blieb er in insgesamt 16 Spielen ungeschlagen. Zwölfmal ging die "Elftal" sogar als Sieger vom Platz, darunter zwei prestigeträchtige Erfolge gegen Lieblingsgegner Belgien.
"Ich habe das Glück immer auf meiner Seite", verkündete van Gaal angesichts dieser Serie bereits vor der WM in Katar. Sein klares Ziel: "Die Spieler wollen Weltmeister werden. Also setzen wir alles daran, das zu erreichen." Zurückhaltung? Nicht mit van Gaal.
Ob die niederländische Nationalmannschaft allerdings tatsächlich das Zeug für den ganz großen Wurf hat, wird sich erst noch zeigen müssen. Dass van Gaal - genau wie sein Vorgänger Frank de Boer - das in Holland heilige 4-3-3-System entgegen aller Kritik einmottete und auf eine Dreierkette setzt, tut dem Team gut. Die individuelle Klasse in der Offensive um Shootingstar Cody Gakpo kann sich zudem durchaus sehen lassen.
Richtig rund lief die Maschine im Auftaktspiel allerdings noch nicht. Oder, Louis van Gaal? "Wir sind hier, um Weltmeister zu werden", wiederholte er nach dem WM-Auftakt noch einmal. Selbstzweifel gibt es nicht. Zumal sein Team ja siegreich vom Platz ging. Andere Mitfavoriten wie Argentinien (1:2 gegen Saudi-Arabien) und Deutschland (1:2 gegen Japan) blamierten sich da schon.
"Der Fakt, dass Argentinien und Deutschland verloren haben, sagt etwas aus", analysierte van Gaal: "Es ist einfacher zu verteidigen, als zu treffen. Das hat viel mit Disziplin zu tun. Ich nehme mir heraus, zu sagen: Mein Team ist 90 Minuten diszipliniert."
Van Gaal und die Disziplin
Bei allen markigen Sprüchen des Fußball-Rentners in spe - nach dem Turnier ist für van Gaal in jedem Fall Schluss - ist allein seine Teilnahme an dem Turnier in der Wüste bemerkenswert. Im April verkündete er, an Prostatakrebs erkrankt zu sein und bereits 25 Bestrahlungen hinter sich zu haben.
Im Training versteckte van Gaal hin und wieder einen Katheter unter der Jacke, nach den Einheiten fuhr er für die Chemo-Therapien heimlich ins Krankenhaus. Um seine Spieler zu schützen, erzählte er ihnen zunächst nichts. Die von den Spielern eingeforderte Disziplin legt van Gaal auch bei sich selbst als Maßstab an.
Van Dijk spricht über Krebserkrankung von van Gaal
"Als die Neuigkeit herauskam, war das ein Schock für uns", berichtete nach dem WM-Auftakt in Katar nun Kapitän Virgil van Dijk. Im Alltag sei der Krebs kein Thema, im Hinterkopf der Spieler aber immer präsent, betonte der Abwehrchef. "Es ist sicher nicht einfach für ihn, mit dieser Situation umzugehen, aber er macht das fantastisch", so van Dijk: "Er ist unser Trainer und wir kämpfen für ihn. Wir gehen definitiv den extra Meter für ihn, weil wir wissen, dass es seine letzte WM ist."
So knochig van Gaal rüberkommt, bei seinen Spielern genießt er aktuell höchste Anerkennung. Das könnte zum Trumpf werden.
Van Gaal umarmt Journalisten
Dass er auch menschliche Züge hat, bewies van Gaal zudem am Donnerstag (24.11.2022) auf der Pressekonferenz vor dem zweiten Spiel der Holländer gegen Ecuador. Nachdem ihm ein Journalist aus dem Senegal seine Bewunderung ausgedrückt hatte, stand van Gaal zum Ende der PK auf, rief den Senegalesen zu sich und verteilte "een big Knuffel", wie er sagte: eine Umarmung. Van Gaal kuschelt sich in die Herzen der Menschen und hat sein Team hinter sich. Es scheint alles angerichtet für den großen Coup.
Der WM-Titel soll her
Und so könnte das ohnehin große Ego von van Gaal bei dieser Weltmeisterschaft tatsächlich noch einmal anwachsen. Bislang greifen seine Änderungen, nach drei erfolglosen Final-Teilnahmen 1974, 1978 und 2010 soll dieses Mal der Titel her. "Manche Leute vertrauen auf Gott, ich vertraue auf mich", sagte van Gaal. Und damit ist wohl alles gesagt.