FIFA WM 2022 Neymar - Brasiliens unbeliebter Superstar
Neymar ist nach seiner Verletzung zurück im Kader der Selecao. Die mitgereisten Fans in Katar feiern ihren Star, doch nicht bei allen Brasilianern löst der Superstar Jubelstürme aus.
Wenn man in Katar mitgereiste brasilianische Fans nach Neymar fragt, bekommt man meist die gleiche Antwort: Alle lieben Neymar. Wenn der Superstar auf der Leinwand im Stadion zu sehen ist, wird es laut. Doch viele brasilianische Fans in der Heimat rümpfen die Nase, wenn es um Neymar geht. Der Star spaltet die Fans. Und das obwohl er sportlich zweifelsohne enorm wichtig für die "Selecao" ist. Warum ist Neymar so unbeliebt bei vielen Brasilianerinnen und Brasilianern?
Neben Genesungswünschen nach seiner Knöchelverletzung im ersten WM-Spiel, gab es auch sehr viel Hohn und Spott in den sozialen Medien für den Superstar. "Die argentinischen Fans verehren Messi wie einen Gott. Die portugiesischen Fans behandeln Ronaldo wie einen König. Die brasilianischen Fans sehnen sich danach, dass Neymar sich das Bein bricht", schrieb Nationalmannschaftskollege Raphinha nach Neymars Verletzung im Auftaktspiel in seiner Instagram-Story.
Keine Identifikation
"Neymar gibt gerne damit an, was er hat", sagt der ehemalige brasilianische Nationalspieler und heutige Fußballkommentator Walter Casagrande im Gespräch mit der Sportschau. Das komme bei vielen Brasilianerinnen und Brasilianern nicht gut an. Die Lebensrealität in Brasilien sei eine ganz andere als das, was Neymar repräsentiere: "Brasilien ist ein Land mit viel Armut. Die Menschen können sich nicht mit ihm identifizieren. Neymar versucht nicht, die Menschen zu verstehen oder ihnen näher zu kommen."
"Ein Idol, aber nicht nahbar"
Viele brasilianische Fans empfinden Neymars Auftreten als arrogant, sein Verhalten auf dem Spielfeld als theatralisch und unaufrichtig. Ihm wird vorgeworfen, mehr Promi als hingebungsvoller Sportler zu sein. "Neymar ist ein Idol, aber nicht nahbar", so Casagrande.
"Die Bindung zu den brasilianischen Fans war schon nicht gut, aber dass er Bolsonaro öffentlich unterstützt hat, hat es noch schlimmer gemacht", so Casagrande.
Neymar unterstüzt Bolsonaro
Brasilien ist politisch gespalten: In das Lager des rechtsextremen amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro und seinen Gegnern.
Während seiner Präsidentschaft schockierte Bolsonaro immer wieder mit frauenfeindlichen, homophoben, rassistischen und diskriminierenden Aussagen. Er verherrlicht die Militärherrschaft, leugnet den Klimawandel, fördert die Abholzung des Amazonas und sprach sich während der Pandemie gegen die Corona-Impfung aus.
"Bolsonaro ist der richtige Mann, um unser Brasilien zu führen", sagte Neymar im Wahlkampf. Mit 49,1 Prozent zu 50,9 Prozent der Stimmen unterlag Bolsonaro in der Stichwahl Ende Oktober 2022 seinem Herausforderer Lula da Silva.
Angekündigter Torjubel bleibt aus
In einem Livestream im Wahlkampf deutete Neymar an, ihm sein erstes WM-Tor zu widmen. Er wolle die 22 - die Wahlnummer Bolsonaros - in seinen Torjubel integrieren. "So ein Zeichen würde Brasilien weiter spalten", sagt Casagrande. Der angekündigte Jubel blieb nach seinem Elfmetertor gegen Südkorea am Montagabend (05.12.22) aus.
Dennoch: "Obwohl Bolsonaro die Wahl verloren hat, hat Neymar gesagt, dass er Bolsonaro weiter unterstützen würde", sagt Casagrande. Brisant insbesondere deshalb, weil Bolsonaro die Rechtmäßigkeit der Wahl in Frage stellt und ohne Belege von Betrug spricht.
Steuerhinterziehung und Vergewaltigungsvorwürfe
Die Sympathien zwischen Neymar und Bolsonaro beruhen auf Gegenseitigkeit. 2019 beschuldigte ein brasilianisches Model Neymar, er habe sie in einem Hotel in Paris vergewaltigt. Bolsonaro verteidigte den Stürmer. Aus Mangel an Beweisen wurde das Verfahren gegen Neymar eingestellt. Später sagte Neymar, Bolsonaro hätte im schwierigsten Moment seines Lebens öffentlich zu ihm gestanden.
2015 wurde Neymar beschuldigt, Steuern in Höhe von umgerechnet ca. 18 Millionen Euro nicht gezahlt zu haben. Seitdem geriet er immer wieder in die Schlagzeilen: Steuerhinterziehungen, Geheimzahlungen bei seinen Transfers und Prozessverschleppung wird ihm vorgeworfen. Angeblich soll Bolsonaro Neymar unterstützt haben, ihm Zahlungen erlassen haben. Es gibt Spekulationen über einen geheimen Steuerdeal zwischen ihm und dem mittlerweile abgewählten Präsidenten.
"Ein normaler Arbeiter in Brasilien zahlt Steuern, obwohl er kein Geld hat. Wie kann es sein, dass eine reiche Person seine Steuern nicht zahlen will?", fragt Casagrande: "Wenn Neymar viele Steuern zahlen muss, dann liegt es nur daran, dass er so viel verdient."
Neymar-Fans ins Katar
Bolsonaro und Neymar stehen für die Elite. Dass Fans, die das Geld aufbringen können, zur WM nach Doha zu reisen, dieser Elite nicht ganz so kritisch gegenüberstehen, ist nicht unbedingt verwunderlich. "Sport sollte nicht politisch sein", sagt beispielsweise Brasilien-Fan Eduardo in Doha.
Walter Casagrade sieht das anders: "Sport, Politik, Gesellschaft - das alles ist miteinander verbunden. Ich bin Brasilianer und ich habe bei der WM 1986 gespielt. Aber ich kämpfe auch für Menschenrechte. Es ist schockierend, dass Neymar sich nicht für Menschen und diese wichtigen Dinge interessiert."