FIFA WM 2022 "Eine verrückte Geschichte" - Warum Matty Cash für Polen spielt
Geboren und aufgewachsen ist Matty Cash in England. Seit 2021 spielt er aber für die polnische Nationalmannschaft. Dahinter steckt neben sportlichen Gründen auch eine spannende Familiengeschichte.
Es ist der 12. November 2021. Etwas mehr als 1.000 Menschen im Estadi Comunal von Andorra la Vella sehen, wie die polnische Mannschaft die andorranische Auswahl souverän mit 4:1 schlägt. Es ist eigentlich kein bemerkenswertes Spiel. Doch als Matty Cash in der 64. Minute eingewechselt wird, ist es ein ganz besonderer Augenblick für den Rechtsverteidiger von Aston Villa.
In diesem Moment gibt er sein Debüt für die polnische Nationalmannschaft - und das, ohne jemals in Polen gewesen zu sein. Erst Ende Oktober hatte er die polnische Staatsbürgeschaft erhalten und in der Botschaft abgeholt. Nur wenige Tage danach beginnt dann seine Nationalmannschaftskarriere mit einem Auswärtsspiel in Andorra. In der darauffolgenden Partie gegen Ungarn am 15. November spielt er von Beginn an und kommt zu seinem ersten Einsatz auf polnischen Boden.
Cashs Großvater stammt aus Polen
Matthew Cash wurde im südenglischen Slough geboren. Sein Vater ist Engländer und war ebenfalls Profifußballer. Ihm hat er auch den einprägsamen Nachnamen zusammen. Die polnischen Wurzeln stammen von seiner Mutter. Vor allem der Lebensgeschichte ihres Vaters hat Matty Cash zu verdanken, dass er jetzt für Polen und nicht für England spielt.
Sein Großvater Ryszard Tomaszewski wurde drei Jahre vor Ausbruch des 2. Weltkriegs in einem polnischen Landesteil geboren, der heute zur Ukraine gehört. Nachdem die Sowjetunion die Kontrolle über die Region gewinnt, wurde Tomaszewski mit seiner Mutter und seinen Schwestern in ein sibirisches Arbeitslager deportiert. Sein Vater war bereits im Krieg getötet worden.
Zwei Jahre später wird die Familie freigelassen. Sie fliehen zunächst in den Iran, dann nach Indien und ins heutige Tansania, wo das britische Kolonialregime ehemalige Kriegsgefangene aus der Sowjetunion aufnimmt. Sechs Jahre lang bleiben sie in Afrika, ehe sie 1948 schließlich in Liverpool ankommen und in England bleiben. Zu diesem Zeitpunkt ist Cashs Großvater erst 12 Jahre alt.
Stolzer Moment für die ganze Familie
"Es ist schon echt eine verrückte Geschichte", resümiert Cash in einem Interview mit dem englischen "Guardian". "Aber auch ein bisschen kompliziert." Auch seine Großmutter stammt aus Polen. Sie lernt ihren späteren Mann kennen, als sie ihre Schwester in England besucht.
"Das war ein sehr stolzer Moment für alle in meiner Familie, besonders auf der Seite meiner Mutter", sagt Cash im Interview damals zu seiner Nominierung. Den polnischen Teil habe er nie kennengelernt, aber seine Mutter sei die ganze Zeit am Telefon gewesen und alle ganz aufgeregt.
Dass sein Enkel für die polnische Nationalmannschaft spielt, durfte Ryszard Tomaszewski allerdings nicht mehr erleben. Er starb vor sieben Jahren. "Er wäre bestimmt stolz gewesen, wenn er mich für Polen spielen gesehen hätte", sagt Cash.
Matty Cash mit Polens Superstar Robert Lewandowski.
Polnischer Paradigmenwechsel
Neben Cashs Großvater trägt auch Cezary Kulesza eine großen Anteil daran, dass Cash für Polen aufläuft. Seit August letzten Jahres ist er Präsident des nationalen Fußballverbandes. Sein Vorgänger Zbigniew Boniek war dagegen, ausländische Spieler mit polnischen Wurzeln in ihre Nationalmannschaft zu holen. Kulesza änderte diese Paradigma und konnte Cash gewinnen.
Seit einem Jahr spielt dieser nun für die Auswahl Polens und das wohl auch, weil Cash wenig Aussichten auf die englische Nationalmannschaft hatte. Obwohl er kein Polnisch spricht, gibt er sich sichtlich Mühe sich zu integrieren. Sportlich gelingt das bereits: Beim entscheidenden WM-Qualifikationsspiel gegen Schweden stand er 90 Minuten auf dem Platz, auch bei der WM ist er Stammspieler. Auch wenn sie nach der Niederlage zittern mussten: Die Polen bestreiten am Sonntag (04.12.2022, ab 16 Uhr im Audiostream und im Live-Ticker) das Achtelfinale gegen Frankreich.
Gewinnen die Polen gegen die favorisierte französische Elf, könnte das nächste Spiel ein ganz spezielles für den "polnischen Cafu" werden, wie ihn die Fans seines Clubs Aston Villa nennen. Er könnte dann mit Polen nämlich auf England treffen, sein zweites von mittlerweile zwei Heimatländern.