FIFA WM 2022 DFB-Team in der Einzelkritik - Starke Joker, verbesserte Abwehr
Deutschland kämpft sich gegen Spanien zurück und verdient sich einen Punkt. Die verbesserte Abwehr patzt genau einmal zu viel, vorne sorgen die Joker für Aufsehen.
Die deutsche Nationalmannschaft verdient sich gegen Spanien ein 1:1 (0:0) und hat noch alle Chancen auf das Achtelfinale. Die deutschen Spieler in der Einzelkritik.
Manuel Neuer: Die deutsche Nummer eins führte sich mit einer starken Parade gegen den Leipziger Dani Olmo ein (7. Minute) und bewahrte sein Team vor einem frühen Rückstand. Ein Fehlpass von Neuer führte aber zu einer spanischen Chance durch Ferran Torres (27.). Dann war der weitgehend unbeschäftigte 36-Jährige erst wieder zu sehen, als er den Ball aus dem Tor holen musste. Beim Gegentreffer durch Álvaro Morata (62.) war er machtlos. Neuer hatte schon Spiele, in denen er mehr im Mittelpunkt stand.
Thilo Kehrer: Der Ex-Schalker war für Nico Schlotterbeck ins Team gerutscht und sollte als Rechtverteidiger für mehr Stabilität in der Viererkette sorgen. Genau das gelang ihm aber nicht. Kehrer wirkte teilweise überfordert und machte sich durch Stellungsfehler selbst das Leben schwer. Dass er Vorlagengeber Jordi Alba vor dem spanischen Führungstor nicht attackierte und dieser in Seelenruhe Morata bedienen konnte, passte zu Kehrers überschaubarer Leistung.
Niklas Süle: Gegen Japan maßgeblich an den beiden Gegentoren beteiligt, gegen Spanien deutlich formverbessert. Süle zeigte gegen die Iberer, dass er auf der Innenverteidiger-Position eindeutig besser aufgehoben ist als auf der rechten Außenbahn. Beim Gegentor kam er gegen Morata trotzdem zu spät. Die Leistung von Süle stimmte. Ein schwerer Fehler ist aber ein schwerer Fehler zu viel.
Antonio Rüdiger: Der Abwehrchef zeigte in der Defensive weitgehend eine starke Leistung und verteidigte, was es zu verteidigen gab. In der ersten Hälfte fand der Neu-Madrilene zudem die Zeit, sich gleich mehrfach in die Offensive einzuschalten. Ein Fernschuss ging weit drüber (30.), beim vermeintlichen Führungstor stand er knapp im Abseits (39.), nach einer schönen Freistoß-Variante scheiterte er an Spaniens Keeper Unai Simón (45.). Rüdiger war auch gegen Spanien der stärkste deutsche Abwehrspieler.
Deutschlands Antonio Rüdiger setzt sich gegen Spaniens Ferran Torres durch.
David Raum: Kehrer wackelte auf rechts, Raum wackelte zunächst auch auf links. Der Leipziger, der im Gegensatz zum Spiel gegen Japan deutlich defensiver agierte, hatte zu Beginn der Partie große Probleme mit dem spanischen Gegenpressing und musste sich erst einmal an Tempo und Härte gewöhnen. In der 33. Minute verlor Raum komplett die Orientierung und Torres aus den Augen, hatte dabei aber gleich doppeltes Glück: Torres zielte drüber, Vorlagengeber Olmo hatte zudem im Abseits gestanden. Mit zunehmender Spieldauer wurde Raum dann deutlich sicherer. Er ackerte viel und ging lange Wege. Letztlich absolut in Ordnung.
Joshua Kimmich: Der Anführer im deutschen Team stopfte alle Löcher und stellte sich im Verbund mit Teamkollege Goretzka gegen die spanischen Hochbegabten um Pedri und Gavi. Dass Spanien lange Zeit nicht richtig ins Rollen kam, war vor allem der Verdienst von Kimmich. Sein Ballgewinn am gegnerischen Strafraum hätte einen Treffer verdient gehabt (57.). Kimmich stemmte sich mit aller Macht gegen die Niederlage, aller Ehren wert.
Leon Goretzka: Die Wut über seine Nichtnominierung für das Auftaktspiel wandelte Goretzka gegen Spanien in Aggressivität um. Der 27-Jährige sorgte für mehr Körperlichkeit im deutschen Spiel und verhalf dem Mittelfeld zu mehr Stabilität. Im Spiel nach vorne gelang Goretzka bis auf einen etwas schlampig ausgespielten Konter (10.) zwar nicht viel. Goretzkas Präsenz und seine Ruhe am Ball tun der DFB-Elf aber gut.
Leon Goretzka (l.) und Ferran Torres (r.) im Kampf um den Ball.
Ilkay Gündogan: Der Torschütze aus dem Auftaktspiel begann gegen Spanien etwas offensiver, hatte aber auch in der Defensive eine wichtige Rolle. Der ehemalige Dortmunder hinderte Sergio Busquets am Spielaufbau und leistete damit wertvolle Arbeit gegen den Ball. Gerade mit dem Ball gelang dem Profi von Manchester City zwar zu wenig. Dass er erneut ausgewechselt wurde, ist aber zumindest diskutabel. Gündogan sorgte für Ordnung und ist stets ein wichtiger Taktgeber. Das hätte die DFB-Elf auch in der Schlussphase gebrauchen können.
Serge Gnabry: Der Angreifer des FC Bayern war in der Offensive überall zu finden und tat alles, um irgendwie an den Ball zu kommen. Gnabry sorgte für jede Menge Unruhe und verdiente sich seine Nominierung. In den entscheidenden Szenen fehlte ihm aber Ruhe und Kaltschnäuzigkeit.
Jamal Musiala: Der Youngster hatte seine auffälligste Aktion im ersten Durchgang, als er einen Schuss von Torres blockte (36.), seine Offensiv-Qualitäten zeigte er zunächst nur in Ansätzen. Im zweiten Durchgang wurde Musiala vor allem nach dem Rückstand stärker. Nach schönem Anspiel von Leroy Sané übersah Musiala den deutlich besser platzierten Niclas Füllkrug (73.). Da musste er querlegen. Dass er trotzdem den Ausgleich von Füllkrug vorbereitete, spricht für seine Klasse (83.).
Jamal Musiala (r.) im Zweikampf mit Dani Carvajal (l.).
Thomas Müller: Es gibt neben Thomas Müller wohl keinen anderen Spieler auf der Welt, der gleichzeitig unauffällig und überragend sein kann. Gegen Spanien war Müller aber unauffällig und alles andere als überragend. Das Spiel lief an dem bayrischen Urgestein weitgehend vorbei. Seine Auswechslung kam folgerichtig, aber fast schon zu spät.
Leroy Sané (70. für Gündogan): Er wirkt oft etwas behäbig, gegen Spanien war Sané nach seiner Einwechslung aber direkt mittendrin. Der 26-Jährige belebte die zuvor zu behäbig agierende deutsche Offensive direkt und leitete gleich mehrere gefährliche Szenen ein. In der Nachspielzeit hätte er zum Matchwinner werden können. Dass er Unai Simón aussteigen lassen wollte, statt schon vorher zu schießen, war jedoch die falsche Entscheidung.
Niclas Füllkrug (70. für Müller): "Solche Geschichten schreibt nur der Fußball" ist eine abgedroschene Phrase. Aber: Solche Geschichten schreibt nur der Fußball. Niclas Füllkrug, der vor rund einem Jahr unter Ex-Werder-Coach Markus Anfang in Bremen noch vor dem Aus stand, kam, sah und machte das, was ein Mittelstürmer tun muss: Füllkrug blieb eiskalt und traf zum verdienten Ausgleich. Was für ein Auftritt, was für ein Strahl.
Deutschlands Füllkrug bejubelt seinen Treffer zum 1:1-Ausgleich gegen Spanien.
Lukas Klostermann (70. für Kehrer): Der Leipziger, der in dieser Saison lange verletzt gefehlt hatte, ersetzte Kehrer und half mit, das Spiel zu drehen. Große Aktionen hatte Klostermann nicht, aber dafür sind in der DFB-Elf ohnehin andere da.
Jonas Hofmann (83. für Gnabry): Auch der Gladbacher hatte keine großen Szenen mehr.
Nico Schlotterbeck (85. für Raum): Der Dortmunder fand sich nach der durchwachsenen Partie gegen Japan im zweiten Spiel auf der Bank wieder, hatte nach seiner Einwechslung aber noch erheblichen Anteil am Punkt. Schlotterbeck grätschte in höchster Not gegen Morata und verhinderte eine Großchance. Mutig, aber letztlich genau richtig.