FIFA WM 2022 DFB-Team in der Einzelkritik - Musiala tragisch, die Joker stechen
Deutschland scheidet trotz eines abschließenden Siegs gegen Costa Rica aus und muss die Heimreise antreten. Vor allem Jamal Musiala hat das WM-Aus nicht verdient, nur gute Joker reichen aber einfach nicht.
Die deutsche Nationalmannschaft kämpft sich zu einem 4:2-Sieg gegen Costa Rica. Da im Parallelspiel aber Japan gegen Spanien gewinnt, ist das WM-Aus besiegelt.
Manuel Neuer: In den ersten 43 Minuten hätte sich Neuer auch mit einem Buch an den Pfosten setzen können, dann bewahrte er die DFB-Elf mit einem Weltklasse-Reflex vor dem Ausgleich. Die deutsche Nummer eins hielt die Konzentration hoch und war zur Stelle, als er gebraucht wurde. Das ist eine besondere Qualität. Beim ersten Gegentreffer machte er eine unglückliche Figur, den zweiten hätte er mit etwas mehr Entschlossenheit verhindern können. An Neuer lag es aber nicht.
Joshua Kimmich: Der Allrounder musste erstmals seit der WM 2018 in der Nationalelf wieder auf der Rechtsverteidiger-Position ran und erfüllte diese Aufgabe sehr ordentlich. Kimmich marschierte, Kimmich kurbelte an, Kimmich schlug Flanken in den Strafraum und sorgte zusätzlich noch für Ordnung in der Defensive. Im zweiten Durchgang rückte er dann zurück auf seinen Stammplatz im zentralen Mittelfeld und stemmte sich mit aller Macht gegen das nächste vorzeitige WM-Aus. Richtig zündende Ideen hatte er dabei aber nicht.
Niklas Süle: In der Schlussphase agierte der Neu-Dortmunder als eine Art Libero in einer Dreierkette und schaute sich als letzter Mann mit an, wie seine Vorderleute die Partie drehten. Süle stand dieses Mal weitgehend sicher. Das Kopfball-Duell vor dem zweiten Gegentor verlor er aber zu leicht. Süle hat sicher schon bessere Spiele gezeigt als bei dieser WM.
Antonio Rüdiger: In den beiden ersten Partien patzte stets sein Nebenmann Süle, gegen Costa Rica leistete sich der Madrilene einen kapitalen Aussetzer. Bei Costa Ricas einziger Chance im ersten Durchgang ließ er Keysher Fuller einfach ziehen und lud ihn förmlich zum Toreschießen ein. Rüdigers Bock bügelte Neuer aus, im zweiten Durchgang schaffte es Rüdiger dann nicht, die Defensive zu stabilisieren. Zwei Gegentreffer gegen Costa Rica dürfen nicht passieren, das muss sich auch Rüdiger ankreiden lassen.
David Raum: Eine starke Aktion, zweimal komplett gepennt, das erste Gegentor eingeleitet: So lässt sich der Abend von Leipzigs Linksverteidiger zusammenfassen. Raum bewies mit seiner punktgenauen Flanke auf Gnabry, dass er in der Offensive durchaus Qualitäten hat. Dass er sich vor der Chance von Fuller komplett verschätzte und mit einem Fehlpass Costa Rica zum Ausgleich einlud, schmälert die Leistung aber immens. Seine Auswechslung kam folgerichtig.
Leon Goretzka: Der "Aggressive Leader" im deutschen Team durfte auch gegen Costa Rica von Beginn an ran und sollte dem Spiel in Anwesenheit vieler Künstler zusätzliche Körperlichkeit verleihen. Goretzka rückte bei eigenem Ballbesitz mit in die vorderste Reihe und lauerte auf Flanken. Bis auf einen strammen Abschluss (14. Minute) aus der Ferne kam aber nicht viel. In der Halbzeit musste Goretzka mit muskulären Problemen draußen bleiben.
Ilkay Gündogan: Ilkay Gündogan war im ersten Durchgang meist der einzige Mittelfeldspieler, der sich nicht durchgehend in die Offensive einschaltete. Der ehemalige Dortmunder ordnete und dirgierte, er verteilte Bälle und gab viele Kommandos. Alleine: Die ganz großen Akzente setzte er nicht. Dass er nach 55 Minuten das Feld räumen musste, war dem Spielstand geschuldet. Die Qualitäten, die Gündogan bei Manchester City regelmäßig zeigt, zeigte er in der DFB-Elf nur in Ansätzen.
Leroy Sané: Nach einem starken Auftritt nach Einwechslung gegen Spanien stand Sané verdientermaßen in der Startelf und zahlte das Vertrauen zumindest zum Teil zurück. In der ersten Hälfte deutete er seine Klasse mit einem starken Pass auf Bayern-Kollege Gnabry an (20.), blieb sonst aber unauffällig. Im zweiten Durchgang war er dann einer der besseren Offensivkräfte, seine Vorlage auf Füllkrug war sehenswert.
Jamal Musiala: Der Youngster durfte im dritten WM-Spiel zum ersten Mal auf der Zehner-Position ran und nutzte seine Freiheiten umgehend aus. Musiala sorgte durch seine Dribblings für jede Menge Unruhe und einige Jay-Jay-Okocha-Momente. Dass er bei seinen zahlreichen Chancen zweimal den Pfosten, aber nie ins Tor traf, ist fast schon tragisch. In einigen Momenten fehlte Musiala die Abgezocktheit, alleine die Ballbehandlung des 19-Jährigen war aber eines der größten Highlights dieser Weltmeisterschaft. Musiala ist der Dreh- und Angelpunkt des deutschen Spiels. Das Ausscheiden dieses Fußballers ist die eigentliche Tragik des deutschen Debakels.
Serge Gnabry: Mit neuer Frisur und auf einer neuen Position zeigte der Bayern-Star seine beste Turnier-Leistung. Gnabry kurbelte das Spiel immer wieder über die linke Seite an und bewies bei seinem Kopfball-Treffer, dass er auch Mittelstürmer-Qualitäten hat. Der 27-Jährige war auch im zweiten Durchgang an den meisten gefährlichen Aktionen beteiligt. Auch Gnabry muss sich - zumindest gegen Costa Rica - nichts vorwerfen lassen.
Thomas Müller: Der ewige Müller bekam in der Sturmspitze den Vorzug vor Niclas Füllkrug und startete im Sturmzentrum. Dass er aktuell mit einem echten Mittelstürmer aber nur den Nachnamen und die Rückennummer gemeinsam hat, bewies er in der 9. Minute. Nach einer starken Flanke von Kimmich kam Müller völlig frei zum Kopfball, verfehlte das Tor aber klar. In der Folgezeit tauchte Müller ab. Warum er mehr als eine Stunde auf dem Platz stehen durfte, weiß wohl nur Hansi Flick.
Lukas Klostermann (46. für Goretzka): Klostermann übernahm nach dem Seitenwechsel den Rechtsverteidiger-Job, nach 66 Minuten bildete er gemeinsam mit Süle und Rüdiger eine Dreierkette. Einen komplett sicheren Eindruck machte der Leipziger nicht. Das lag aber auch an seinen Nebenleuten.
Niclas Füllkrug (55. für Gündogan): Wenn es einen Gewinner dieser WM gibt, dann ist es Niclas Füllkrug. Der Werderaner, der einen Startelf-Einsatz verdient gehabt hätte, machte auch gegen Costa Rica das, was er tun muss: Füllkrug kam, sorgte für Unruhe und traf. Eine große Chance ließ er liegen. Dass er nun zwei WM-Tore in seiner Vita stehen hat, hätte er vor wenigen Wochen aber wohl selbst nicht gedacht.
Mario Götze (66. für Müller): Vor acht Jahren zeigte er der Welt im WM-Finale, dass er besser sein kann als Lionel Messi. In der Vorrunde gegen Costa Rica zeigte er sich aber zu wenig. Das Spiel lief an Götze weitgehend vorbei.
Kai Havertz (66. für Raum): Ganz anders war das bei Kai Havertz: Der Stürmer des FC Chelsea, der ebenfalls einen Startelf-Einsatz verdient gehabt hätte, traf nach seiner Einwechslung doppelt und drehte die Partie quasi im Alleingang. Mehr kann man nicht verlangen. Bestnote.
Matthias Ginter (90.+3 für Süle): In seinem insgesamt 14. WM-Spiel kam Ginter zu seinem ersten Einsatz. Eine schöne Randnotiz.