Nur zwei Punkte mit Bochum Hecking über Druck: "Ey, jetzt brauchen wir mal ein Ergebnis!"
Der VfL Bochum ist mit zwei Punkten Tabellenletzter der Fußball-Bundesliga und daher in höchster Abstiegsgefahr. Die Sportschau sprach mit Trainer Dieter Hecking über den Druck, der auf ihm und den Spielern lastet - und wie er damit umgeht.
Herr Hecking, wie definieren Sie Druck?
Dieter Hecking: Ich empfinde keinen Druck beim Fußball, weil das meine Leidenschaft ist. Im Fußball gibt es Herausforderungen, denen man sich stellen muss. Aber ich empfinde weder negativen noch positiven Druck.
War das schon immer so?
Hecking: Am Anfang meiner Trainerkarriere habe ich den Druck schon gespürt, weil natürlich auch viel auf einen hereinprasselt. Aber irgendwann habe ich gedacht: Druck ist das falsche Wort. Du machst etwas mit Begeisterung und gehst mit viel Liebe an diesen Job heran. Das Wort "Druck" ist oftmals ja auch negativ belastet, das habe ich so nie gesehen, selbst wenn die Situation verfahren ist oder kritisch ist, weil die Ergebnisse nicht da sind, sehe ich das immer als Herausforderung an, es einfach besser machen zu wollen.
Wie äußerte sich der Druck in Ihren jungen Trainerjahren?
Hecking: Druck äußert sich in dem Moment, in dem du Ziele ausgibst, und diese Ziele werden verfehlt. Das ist das klassische Thema. Wenn der Verein sagt, du willst unter die ersten fünf kommen und du bist irgendwann Zwölfter, 13., und du merkst, es geht nicht voran, dann kommt natürlich von allen Seiten Druck. Also es kommt Druck von außen, aber auch der interne Druck steigt natürlich, weil du über Aufsichtsrat, Präsidium, über Sportvorstände und Sportdirektoren als Trainer dann schon auch vermittelt bekommst: Ey, jetzt brauchen wir mal ein Ergebnis!
Dann steigt natürlich auch das Adrenalin. Das war in früheren Jahren oft bei mir der Fall. Dann setzt man sich selber auch noch unter Druck, weil man ja den Erwartungen gerecht werden will.
Wie haben Sie reagiert?
Hecking: Ich habe irgendwann mal erkannt: Wenn ich das alles an mich ranlasse und genauso empfinde, dann kommst du irgendwann in so eine negative Spirale rein. Dann kannst du selber nicht mehr positiv wirken, und das ist, glaube ich, das Entscheidende.
Es gibt Warnsignale wie Magengeschwüre und schlechten Schlaf. Waren Sie mal in der Situation, in der Sie sich sagten: Jetzt muss ich schnell etwas ändern?
Hecking: Ja, hatte ich auch. Tatsächlich. Es ist nicht so, dass ich gesundheitlich immer ganz einwandfrei durch die Gegend gelaufen bin.
Du merkst dann: Der Schlaf wird unruhiger, du wachst zweimal die Nacht auf und hast irgendwas mit Fußball im Kopf, irgendeine Aufstellung oder eine Situation. Dann merkst du, dass du insgesamt viel unruhiger und auch relativ schnell auch mal an die Wand gehst, sei es bei ganz banalen Themen. Das habe ich alles gespürt.
Woran erkennen Sie Spieler, die unter Druck leiden?
Hecking: Spieler, die unter Druck leiden, die gibt es sicherlich, und da gibt es nicht wenige. Da bin ich sehr, sehr sicher, weil nicht jeder mit herausfordernden Situationen umgehen kann.
Auf den Spielern lastet der persönliche Druck, dann gibt es den familiären Druck, dann gibt es den Beraterdruck, dann gibt es den Trainerdruck, dann gibt’s den Vereinsdruck, dann gibt es den öffentlichen Druck. Dann hast du mittlerweile das Internet, wo die Foren dich angehen, wenn es nicht läuft. Das sind alles Dinge, die machen natürlich was mit einem Menschen.
Wenn dir immer nur negativ begegnet wird, dann macht das was mit jedem Menschen, egal, ob du im Sport unterwegs bist oder generell in der Öffentlichkeit stehst. Generell glaube ich, dass Menschen, die damit nicht umgehen können, nie ihre beste Leistung abrufen können.
Jeder kennt das von Prüfungssituationen, und es gibt auch wissenschaftliche Untersuchungen darüber, dass eine gewisse Anspannung nötig ist. Wie bauen Sie das richtige Maß an Druck auf?
Hecking: Das ist situativ zu entscheiden. Um jetzt das Beispiel VfL Bochum in der Aktualität zu nehmen: Ich glaube, wenn ich jetzt noch intern zu viel Druck aufbauen würde, würde es eher kontraproduktiv sein für das, was wir noch erreichen wollen. Du musst immer einen Mittelweg finden.
Wie sieht der gerade aus?
Hecking: Du musst schon die negativen und kritischen Dinge ansprechen. Aber du darfst nie ins Persönliche gehen, sondern versuchst immer, eine positive Wandlung herbeizuführen. Dass derjenige auch merkt: 'Hey, er zeigt mir zumindest mal eine Lösung auf.' Ich glaube, das konstruktive Gespräch hilft enorm, um Druck wegzunehmen.
Der VfL Bochum hat vor dem Spiel beim 1. FC Union Berlin zwei Punkte. Sie sind nicht abgestiegen, wenn sie verlieren, aber irgendwann muss auch mal angefangen werden …
Hecking: … auch das empfinde ich im Moment nicht als Druck. Wir haben das Glück, dass unsere Konkurrenten da unten gerade auch nicht so unterwegs sind, dass sie jetzt jedes Spiel gewinnen werden. Wir dürfen gar nicht darüber nachdenken, wenn das da unten normal laufen würde und alle würden regelmäßig punkten: Dann wärst du jetzt abgestiegen. Das ist aber nicht so.
Haben Sie in Ihrem Trainerstab oder im Umfeld Psychologen?
Hecking: Ich persönlich bin im Austausch mit einem professionellen Sportpsychologen, der auch Führungskräfte schult. Ich glaube, das sind schon gute Hinweise, du kriegst dann auch manchmal mit, wie etwa in der Wirtschaft mit Druck umgegangen wird und kannst das vielleicht auch mal auf dich projizieren. Diese Dinge habe ich in den letzten Jahren häufiger gemacht.
Haben Sie schon mal einen Spieler nicht aufgestellt, weil Sie ihn mental der Aufgabe nicht gewachsen sahen?
Hecking: Ich glaube, unter dem Gesichtspunkt habe ich noch nie eine Aufstellung gemacht. Trotzdem kriegst du natürlich ein Gefühl in der Trainingswoche, wie jemand drauf ist. Ob das dann immer rein psychologische Gründe sind, warum jemand den Ball nicht mehr trifft oder warum er Entscheidungen trifft, die auf dem Platz verheerend sein könnten, das sieht man im Training. Es war auch noch nie einer bei mir, der gesagt hat: Ich kann das heute nicht, lass mich besser raus.
Sie waren selber als Profi aktiv. Gibt es Unterschiede zwischen dem Druck als Spieler und als Trainer?
Hecking: Ja, enorme. Klar, der Spieler hat den Druck, dass er performen muss, weil der Konkurrent auf der Bank sitzt und auf ein nicht so gutes Spiel wartet, um dann selber die Chance zu kriegen. Dann die Situation mit der Mannschaft: Willst du dich für Europa qualifizieren? Läufst du den Zielen hinterher? Bist du ein Abstiegskandidat? Das beeinflusst schon sehr viele Spieler. Aber viele gucken auf nur auf sich.
Als Trainer hast du schon eine größere Verantwortung, eine Gesamtverantwortung. Du musst einen Staff von 45 bis 50 Leuten führen. Jeder will dein Ohr haben, dabei bräuchtest du vielleicht auch mal ein Ohr. Dann hast du die Verantwortung für das sportliche Ergebnis. Klar gibt es noch einen Sportvorstand, Sportdirektor, einen Aufsichtsrat, die natürlich auch eine Verantwortung für den Verein haben. Aber für das operative Tagesgeschäft bist du als Trainer der Hauptverantwortliche.
Schlafen Sie momentan gut?
Hecking: Überraschenderweise gut, ja.
Das Gespräch führte Marcus Bark.