FIFA WM 2022 Thomas Broich - Messi, Mbappé und Neymar haben mich verzaubert
ARD-Experte Thomas Broich zieht seine WM-Bilanz - und spricht über zauberhafte Momente, neue Taktiktrends und geniales Coaching von Didier Deschamps und Louis van Gaal.
Thomas Broich war früher selbst ein Feingeist, auf dem Platz und daneben. Er war weder besonders zweikampfstark noch besonders schnell - aber auf der Zehn bei Burghausen, Gladbach, Köln, Nürnberg und am Ende in Brisbane ein herausragender Techniker und Virtuose am Ball. Seine Kollegen riefen ihn halb ehrfurchtvoll und halb spöttisch "Mozart", weil er statt Heavy Metal und Techno eher die Klassische Musik mochte, da allerdings nach eigenen Worten lieber Beethoven als Mozart.
"Soviel Kunst, soviel Bewegungsgefühl"
Aber egal, den Sinn für das Feine hat er sich erhalten, der begleitet ihn auch heute als Experten der ARD. Bei der Weltmeisterschaft in Katar macht es Broich deshalb augenscheinlich besonders viel Spaß, über magische Momente zu sprechen.
Da gerät er ins Schwärmen, sagt zur Sportschau: "Es gab nicht dieses eine Spiel, das mich total vom Hocker gehauen hat. Aber es gab immer wieder diese Momente und Phasen. Von der ersten Halbzeit Brasiliens gegen Südkorea habe ich mich verzaubern lassen, das war unfassbar gut. Da stand der Mund einfach nur noch offen bei so viel Kunst, so viel Kreativität und Bewegungsgefühl auf dem Platz." Neben den Tempoverschärfungen von Neymar haben Broich aber natürlich vor allem auch Lionel Messi ("Wahnsinn, was der immer noch am Start hat") und Kylian Mbappé "mit dieser "Überschallgeschwindigkeit" mitgerissen.
"Wieder vermehrt mit Viererkette"
Taktisch ist dem Sportschau-Experten aufgefallen, dass wieder vermehrt mit Viererkette agiert werde. Broich: "Und dazu werden auch die Flügel wirklich doppelt besetzt und auch mit offensiven, technisch versierten und schnellen, dribbelstarken Leuten. Das Flügelspiel ist wirklich ein ganz wichtiger Faktor bei dieser Weltmeisterschaft."
Unter den Trainern, die bei dieser WM Maßstäbe gesetzt haben, sieht Thomas Broich vor allem Marokkos Walid Regragui ganz vorne, "weil er einfach aus dieser Mannschaft so viel rausgeholt hat und auch im Vorfeld genau die richtigen Entscheidungen getroffen hat, zum Beispiel, indem er Sofyan Amrabat zu seinem Dominator schlechthin gemacht hat."
"Deschamps kann ein Spiel verändern"
Aber auch das Coaching von Didier Deschamps bewertet Broich als herausragend, weil er in Spielverläufe eingreift und ein Match verändern könne. Broich weiter: "Ich finde, auch Louis van Gaal hat es bewiesen, auch mit teilweise total unkonventionellen Mitteln. Dieses Comeback gegen Argentinien war extrem, mit den zwei Kanten Wout Weghorst und Luuk de Jong vorne drin, wo er dann einfach Chaos gestiftet hat und mit Halbfeldflanken agieren ließ."
Was die deutsche Mannschaft anbelange, sieht Broich die größte Baustelle in der Abwehr: "Je mehr man das Ganze sacken lässt, desto klarer wird, dass es vor allem um die Defensive geht. Das ist das große Thema. Das ist nicht einfach zu reparieren, denn personell kann man da nicht aus dem Vollen schöpfen. Aber was wir machen können, ist in Sachen Mentalität einfach eine Schippe drauflegen."
"Deutschland haben Gier und Galligkeit gefehlt"
Beim DFB-Team sei gar nicht mal unbedingt der fehlende Wille das Entscheidende gewesen, sondern plötzlich einkehrende Passivität, insgesamt sei das Team auch zu lieb gewesen: "Es macht irgendwie klick, und da ist halt eine gewisse Schläfrigkeit in der Defensive. Wenn man da andere Mannschaften sieht, mit was für einer Kompromisslosigkeit die im Verbund verteidigen, was die alles reinwerfen, wie aggressiv die in Zweikämpfe gehen - so resolut waren wir einfach nicht. Gier und Galligkeit haben wir einfach nicht entwickelt - da würde ich ansetzen."