Spielszene Deutschland - Slowakei

Vor dem Start der Eishockey-WM DEB-Team: Alles auf Null war einmal

Stand: 09.05.2024 22:13 Uhr

Vieles ist so wie im vergangenen Jahr. Gleich zum Auftakt muss die deutsche Mannschaft bei der Weltmeisterschaft in Tschechien ab Freitag (10.05.2024) gegen die drei stärksten Gruppengegner bestehen.

Im Eröffnungsspiel warten die Slowaken, einen Tag später die US-Amerikaner und dann die Schweden. Vor zwölf Monaten setzte es gegen Schweden, Finnland und die USA drei knappe Niederlagen, und am Ende wurde dennoch ein großartiger zweiter Platz gefeiert. In Ostrava sind die Vorzeichen nun ähnlich, die Ausgangslage ist trotzdem eine andere.

Die Vergänglichkeit ist vor allem im Sport zu Hause. Gäbe es sie nicht, man könnte Niederlagen kaum aushalten, und Siege schmeckten irgendwann fad. Was war, ist vorbei. Was kommt, dagegen ungewiss.

"Wir fangen wieder bei Null an", sagt Harold Kreis, der Bundestrainer, den jeder nur "Harry" ruft. Er hat mit seinen Spielern zuletzt viel über die Tage von Tampere im Mai vergangenen Jahres gesprochen. Eine große Zeit, die große Erwartungen hinterlassen hat. Diese Erwartungen müssen Mannschaft und Trainer jetzt managen. Und dabei von der Vergangenheit lernen.

Der Erfolg: Fluch oder Segen?

Ein paar Spieler sind noch dabei, die davon erzählen können, wie man das große Ziel unter großem Druck aus den Augen verliert. Vor zwei Jahren, bei den Winterspielen in Peking, reiste die deutsche Mannschaft mit der Silbermedaille von Pyeongchang in den Köpfen an.

Viele Gänsehaut-Filme wurden im Vorfeld gemacht. Die Vorfreude war gewaltig. Der damalige Bundestrainer Toni Söderholm ließ sich dazu hinreißen, die Goldmedaille als Ziel auszurufen. Nach ein paar Tagen kehrte die deutsche Mannschaft mit leeren Händen und Gesichtern viel zu früh nach Deutschland zurück.

Welche Profis kommen aus der NHL?

Die Vergänglichkeit fühlt sich im Eishockey noch ein bisschen mehr zu Hause als in anderen Sportarten. In jedem Jahr wird ein neuer Weltmeister ermittelt. In jedem Jahr gibt es die Hoffnung, dass von den besten Spielern der Welt möglichst viele den Weg zum WM-Turnier finden.

In jedem Jahr gleicht diese Endrunde auch einer Lotterie, denn wenn die besten Spieler aus dem eigenen Land in der nordamerikanischen NHL früh aus den Playoffs fliegen oder sich nicht dafür qualifizieren, und stattdessen zur WM anreisen, bedeutet das einen enormen Qualitätsschub.

Die DEB-Auswahl hat bei dieser Lotterie in diesem Frühjahr wieder einige Gewinne an Land gezogen. Zum Beispiel Nico Sturm, den unverdrossenen Stürmer und Anführer, der in San José ein anstrengend erfolgloses Jahr hinter sich gebracht hat.

Oder Philipp Grubauer, den Torhüter der Seattle Kraken. Auch er hat eine komplizierte Saison erlebt, die Playoffs verpasst, aber immerhin hat er eine längere Verletzung aus- und seine anschließende Reservistenrolle überstanden. Und natürlich JJ Peterka von den Sabres in Buffalo, der ein vielversprechendes Jahr hingelegt hat und nichts dagegen hätte, auch bei dieser WM wieder zum besten Stürmer des Turniers gewählt zu werden.

Ohne Draisaitl, Stützle und Seider

Aber es gab eben auch ein paar Nieten bei dieser Lotterie. Leon Draisaitl träumt und schwitzt mit und für die Oilers aus Edmonton von seinem ersten Stanley-Cup-Sieg. Und niemand glaubt, dass er noch nachkommen könnte, selbst wenn die aktuelle Playoff-Serie gegen Vancouver in die Hose gehen sollte.

Tim Stützle, der in Ottawa ebenfalls wieder ein starkes Jahr auf der Habenseite verbuchen konnte, und der nach Draisaitl ohne Zweifel der aktuell beste deutsche Stürmer ist, hat schon abgesagt. Die Probleme mit Hand und Schultern plagen ihn schon länger.

Und dann ist da noch der vielleicht schwerwiegendste Ausfall: Moritz Seider, Verteidiger in Detroit, und ein wichtiger Silberbaustein des vergangenen Jahres, wird mit ziemlicher Sicherheit ebenfalls nicht nach Tschechien kommen. Er ist derzeit vertragslos und verhandelt mit den Red Wings gerade den größten Vertrag seines Lebens.

Diese Ungewissheit lässt sich kaum versichern. Wenn man dann noch ins Feld führt, dass Stürmer Marcel Noebels aus Berlin und auch Verteidiger Leon Gawanke aus Mannheim in Ostrava nicht dabei sein können, die im Vorjahr ebenfalls wichtige Pfeiler waren, und die vor allem im Powerplay für das gewisse Etwas sorgten, dann muss man sich als deutscher Eishockeyfan schon etwas intensiver mit der Vergänglichkeit auseinandersetzen.

Mehr als nur "Ärgerfritzen"

Doch Schwarzmalerei ist nicht das Geschäft von Bundestrainer Harry Kreis. Er weiß ja jetzt, wie es funktioniert oder funktionieren kann. Und so ganz stimmt diese Aussage mit der Stunde Null ja auch nicht. Denn es hat sich ja, unabhängig von der Zusammensetzung, etwas verändert in der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft. Die DEB-Spieler sind heute hoch angesehene, selbstbewusste Gegner. Jedes Spiel bedeutet eine Chance, jede Niederlage ist eine zu viel.

Als die Weltmeisterschaft zum letzten Mal in Tschechien ausgetragen wurde war das noch ganz anders. Damals versprach der damalige Bundestrainer eine Runde Freibier an der Hotelbar, sollte seine Mannschaft gegen die Kanadier zumindest ein Drittel schadlos überstehen.

Deutschland verlor mit 0:10. Es war ein Rückfall in schlimme Zeiten. Dieses Mal jedoch sind die Deutschen zwar ohne ihre ganz großen Stars angereist, dafür aber mit Zuversicht und der Gewissheit, dass sie als Mannschaft kaum zu schlagen sind, wenn sie denn schnell eine Mannschaft bilden können. Ob das gelingt, weiß man aber erst in der kommenden Woche.

Sieben Spiele - sieben Kraftakte

Die sieben Vorrundengegner haben es allesamt in sich. Auch die vermeintlich Kleineren. Da sind die Letten mit ihren erfahrenen, unerschrockenen Hardcore-Zockern und zwei außergewöhnlichen Goalies. Da sind die Österreicher und Franzosen, die den Deutschen schon in der Vorbereitung ziemlich auf die Pelle gerückt sind.

Die Kasachen mit ihren unaussprechlichen Namen, aber mindestens drei Reihen, die sich schon seit dem Sandkasten kennen. Die Polen, die euphorisierten Aufsteiger, für die jedes Spiel in Ostrava zum Heimspiel wird, denn die Grenze ist ja nur einen Steinwurf entfernt.

Vier Spiele sollte das Team von Harry Kreis gewinnen, um das Viertelfinale zu erreichen. "Wir fangen wieder bei Null an", sagt der Bundestrainer. Was die Tabelle angeht, hat er Recht. Was das Selbstverständnis des DEB-Teams angeht, nicht mehr.